Debatte: Die Angst vor der Leere : Stadtflucht: Das Häuschen im Grünen oder der Untergang der Städte
Nordrhein-Westfalens Städte brauchen neue, innovative Wohnviertel – und bessere Serviceangebote, etwa bei der Kinderbetreuung
Wenn die zukünftige Bevölkerungsentwicklung der Städte diskutiert wird, fallen Schlagworte wie demografische Krise, Schrumpfung oder Stadtflucht. In einigen Ruhrgebietsstädten macht ein Blick auf konkrete Zahlen die Entwicklung schon heute anschaulich: So hat die Stadt Essen seit 1993 mehr als 40.000 Einwohner verloren. Dies entspricht einer Mittelstadt in der Größenordnung von Heinsberg oder Lemgo.
Die negativen Folgen von Einwohnerverlusten aus Sicht der Städte sind vielfältig. Angesichts der Finanzkrise der öffentlichen Haushalte werden die Auswirkungen auf die kommunalen Finanzen als besonders schmerzhaft empfunden. Einbußen von Einkommensteuer und Schlüsselzuweisungen können kaum durch Ausgabeneinsparungen aufgefangen werden. Problematisch ist die Tatsache, dass die Infrastruktur nicht automatisch mit der Einwohnerzahl schrumpft. Dies führt zur Unterauslastung und trägt zum Verfall bestehender Einrichtungen bei. Nicht zuletzt fürchten einwohnerverlierende Städte einen Imageverlust.
Besonders sichtbar sind die Probleme einer Entleerung auf der Ebene einzelner Stadtteile. Die entspannten Wohnungsmärkte in schrumpfenden Städten begünstigen Binnenwanderungen zu Lasten benachteiligter Quartiere. Ein Teufelskreis von Fortzügen und Abwertung setzt ein, der sich in massiven Wohnungsleerständen und sozialer Entmischung zeigt.
Die betroffenen Städte sind gefordert, aktuellen und prognostizierten Einwohnerverlusten mit einer Haltung zu begegnen, die passive Resignation und ruinösen Wettbewerb um Einwohner vermeidet. Dazu ist es notwendig, die Chancen und Grenzen eigener Gegenstrategien realistisch einzuschätzen.
Die natürliche Bevölkerungsentwicklung fällt infolge des seit vielen Jahren zu geringen Geburtenniveaus zunehmend negativ aus. Allerdings unternehmen bislang nur wenige nordrhein-westfälische Städte und Gemeinden den Versuch, durch besondere Betreuungsangebote für Kinder gezielt auf diese Entwicklung Einfluss zu nehmen. Fernwanderungen sind häufig berufsbedingt und treffen besonders Regionen im Strukturwandel. Die Schaffung attraktiver Arbeitsplätze ist dort als eine ebenso wirksame wie langwierige Maßnahme anzusehen. Im Mittelpunkt kommunaler Gegenstrategien steht daher in erster Linie die Stadt-Umland-Wanderung.
Tatsächlich sind kernstädtische Wanderungsverluste gegenüber dem Umland keineswegs als unabänderliche Gegebenheit anzusehen. In Wanderungsmotivuntersuchungen gibt regelmäßig ein Großteil der in eine Umlandgemeinde Fortgezogenen an, dass er lieber in der Stadt geblieben wäre. Offensichtlich verhindert häufig das Fehlen nachfragegerechter Angebote ein Bleiben solcher Wohnungssuchenden. Erfolg versprechen Maßnahmen der Kernstädte nur, wenn über das Kopieren suburbaner Wohnformen hinaus innovative urbane Wohnangebote geschaffen werden, die bei Preis und Qualität den Vorstellungen künftiger Bevölkerungsgruppen entsprechen. FRANK OSTERHAGE