Debatte Bildungspolitik: Kultusminister, geht einfach!
Was hat die Politik Druck gemacht: Macht schneller Abitur, studiert schneller! Aber sie selbst kriegt nicht einmal die Studienplatzvergabe hin.
![](https://taz.de/picture/255684/14/debatte_bildung_lehmann.jpg)
D eutschland hat ein Luxusproblem. Im Herbst wird rund eine halbe Million junger Leute mit dem Abitur wedeln und Einlass in Hochschulen und Universitäten begehren. Es gibt so viele Studienanfänger wie nie zuvor. Das ist toll. Das ist es, was Volkswirtschaftler, Bildungsexperten und Politiker ständig fordern: Mehr Akademiker braucht das Land, sonst geht Deutschland im Innovationswettstreit mit Ländern wie China vor die Hunde.
Wer hat geschlafen?
Doch leider häufen sich Warnungen, wonach die Zahl der Plätze in den Hörsälen, Seminarräumen und Laboren nicht ausreichen könnte. 50.000 Studierwillige könnten leer ausgehen. Wie kann es sein, dass ein jahrelang propagiertes, ein zentrales politisches Ziel daran scheitert, dass die Kapazitäten fehlen, um die doch so dringend benötigten Akademiker auszubilden? Wer hat geschlafen?
Dabei war der Andrang absehbar. Bereits im Jahre 2005 appellierte die amtierende Bundesbildungsministerin an die Bundestagsabgeordneten, die Studierwilligen nicht als Last sondern als Chance zu begreifen. "Es wird der Tag kommen, an dem wir dort den Mangel beklagen werden, wo heute der Ansturm befürchtet wird", so Annette Schavan (CDU).
Und zweifellos hat sich in den darauf folgenden sechs Jahren auch einiges getan. Die schwarz-gelbe Regierung hat mehr Geld in Bildung investiert, Schavan kann in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben, obwohl eigentlich nur die Länder zuständig sind. Bund und Länder haben zudem 2006 erstmals einen Hochschulpakt geschlossen, um bis 2015 gemeinsam über 300.000 neue Studienplätze zu schaffen.
Doch mit dem Pakt trugen Bund und Länder nur der Tatsache Rechnung, dass 14 Bundesländer die Schulzeit um ein Jahr verkürzt haben. So fangen in diesem Jahr in Bayern und Niedersachen zwei Abiturjahrgänge gleichzeitig an zu studieren: die "G-8er", die das Gymnasium in nur acht Jahren absolvierten, und ihre ein Jahr früher eingeschulten Mitschüler, die neun Jahre Zeit hatten. Verschärfend kommt in diesem Jahr hinzu, dass die Regierung die Wehrpflicht geradezu fluchtartig abschaffte. Damit rücken in diesem Jahr noch bis zu 60.000 junge Männer in die Hochschulen statt in Kasernen ein. Darauf hat die Politik immerhin kurzfristig reagiert und den Hochschulpakt aufgestockt.
Ein Pakt aber ersetzt noch keine Vision. Für ein wohlhabendes Land investiert Deutschland weiterhin nicht übermäßig viel in seine Bildungseinrichtungen. Vom erwirtschafteten Gesamtvermögen stecken die OECD-Länder durchschnittlich 5,7 Prozent in Bildung, Deutschland gibt anteilig nur 4,7 Prozent für Bildung aus. Die deutschen Unis sind immer noch unterfinanziert. Um sich vor Studenten zu schützen, haben die Hochschulen gegenwärtig die Hälfte aller grundständigen Studiengänge mit Zulassungsbeschränkungen versehen.
Ohne jede Zukunftsplanung
Der Bildungswunsch der gesamten Bevölkerung ist nämlich viel schneller gewachsen als die Politiker es wahrhaben wollten. Im vergangenen Jahr erfüllte fast jeder zweite Schulabgänger laut Statistik des Bundesamts die Voraussetzungen für ein Hochschulstudium. Zum Vergleich: Im Jahre 2000 lag die Quote um fast neun Prozentpunkte niedriger. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht; die Gymnasien verzeichnen als einzige Schulform steigende Anmeldezahlen, zudem sollen die Hochschulen sich zunehmend für Menschen öffnen, die eine berufliche Ausbildung vorweisen können.
Die KultusministerInnen aber gehen weiter stur davon aus, dass sich die Quote der Studienberechtigten im Jahre 2020, also nach den Babyboomern und den Doppeljahrgängen, bei 44 Prozent einpegeln wird. Dagegen sagt der die Politik beratende Wissenschaftsrat eine Quote von 50 Prozent voraus.
Der Hochschulpakt aber läuft in 9 Jahren aus. Darüber hinausgehende Vereinbarungen, wie die seit Jahren unterfinanzierten Hochschulen in Deutschland besser ausgestattet werden, wurden bisher nicht getroffen.
Das ist grob fahrlässig. Erst erhöhen die verantwortlichen Politiker den Druck und verkürzen die Gymnasialzeit um ein Jahr, damit die Jugendlichen ja jung durchs Studium sausen und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Geht es aber an die eigenen Hausaufgaben, dann wird gebummelt, was das Zeug hält.
So haben es die Kultusminister auch nicht geschafft, rechtzeitig zum Wintersemester ein funktionierendes Verfahren zur Studienplatzvergabe zu installieren. Dieses Versäumnis komplettiert das Chaos zum Wintersemester. Sinnigerweise hatten sie die immerhin funktionierende Zentralstelle zur Studienplatzvergabe (ZVS) 2004 als "bürokratisches Monstrum" entsorgt, wobei auch Bildungsministerin Schavan den verbalen Vorschlaghammer schwang.
Lösungen liegen auf der Hand
Warum aber fehlt bis heute eine gemeinsame politische Strategie? Die Antwort lautet: Weil es kein gemeinsames Interesse gibt. Die fehlende Teamfähigkeit der 17 Player auf dem Feld der Bildungspolitik - 16 Bundesländer und der Bund - baden die Hochschulen und die Studierenden aus.
Der Ausweg aus diesem Klein-Klein führt zum einen über das Grundgesetz. Die Föderalismusreform muss rückgängig gemacht werden, der Bund wieder als Hauptakteur im Hochschulsektor zum Einsatz kommen. Und er führt über Steuererhöhungen. Ein Staat, der mehr investieren will, aber gleichzeitig Schulden hat, muss die Einnahmen erhöhen, anstatt über Entlastungen nachzusinnen.
Kurzfristig ist es dringend erforderlich, die fehlenden - übrigens von den Arbeitgebern angemahnten - 300 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um allen Studierwilligen im Herbst einen Platz zu garantieren. Das ist ein Bruchteil der Summe, die der Staat kurzfristig etwa in die Hypo Real Estate pumpte, um sie zu retten. Und im Gegensatz zu diesen 10 Milliarden Euro ist das Geld für Studienplätze nicht unwiederbringlich verloren. Denn: Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung sind unser wichtigster Rohstoff in der Globalisierung. So steht es im Koalitionsvertrag. Von Banken ist hier nicht die Rede.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird