: Das Schweigen der Lämmer -betr.: "Schweigen für Gorazde", taz vom 25.4.94
Betr.: „Schweigen für Gorazde“, taz vom 25.4.
Zu Gorazde schweigen die Grünen am Samstag öffentlich. Weshalb aber sollten andere Bremer und Bremerinnen mitschweigen? Damit trotz der Bilder aus der Schlachthaus-Enklave Gorazde, die jeden Europäer beschämen, das gute Gefühl, etwas unternommen zu haben, ohne etwas unternehmen zu müssen, nächtens süße Träume schenkt?
Die Demonstration ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich ein zerfallenes linkes Projekt noch verständigen kann – im Grunde aus heimatmusealen Gefühlen heraus. Die wirklichen positionellen Grenzen verlaufen längst – karikierend gezeichnet – zwischen Ernst Busche, Lord Owen, Arendt Hendricksen und Volker Rühe auf der einen Seite, zwischen Hermann Kuhn und Daniel Cohn-Bendit, zwischen Marieluise Beck und meinethalben Benazir Bhutto auf der anderen Seite, zwischen einem verlogenen pseudo-pazifistischen „Sich-Ausbluten-Lassen“ und einer Position, die – zu Ende gedacht – auf „Waffen für Bosnien“ hinauslaufen muß. Letzteres wäre eine echte „neulinke“ Aufgabe, die AntiFa und Befreiungsbewegungs-Traditionen fortführt.
Die Lehre, die wir aus der deutschen Geschichte zu ziehen haben, heißt keinesfalls „Nie wieder Krieg“ – das war die Position unserer Eltern –, sondern sie heißt „Nie wieder Faschismus!“ Unsere Welt ist leider so kompliziert, daß man, wie im Fall Bosnien, nicht beides kann. Der Streit überschreitet überholte Parteigrenzen – an sie halten sich nur noch weitgehend ideologiefreie Machtrituale, die sich auf Fünf- und Fünfzigprozentfragen zurückführen lassen –, der Streit entsteht mitten in altvertrauten Milieus und mitten in uns selbst.
Klaus Jarchow
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