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■ Das Herbstgutachten der Wirtschafts-Weisen ist daSchöne neue Wachstumswelt

Einen besseren Start konnte sich die Bonner Regierung gar nicht wünschen. Mit den gestern im Herbstgutachten vorgelegten Schätzwerten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden die Bürger endlich wieder mit Erfolgsmeldungen von Konjunkturfront und Arbeitsmarkt beglückt. Ein „Dokument der konjunkturellen Zuversicht“ nannte gar der Bundesverband der deutschen Banken das Gutachten mit seinen nach oben korrigierten Wachstumsprognosen. Wahrscheinlich bald wieder im Amt, darf Wirtschaftsminister Günter Rexrodt daraus in den zum Jahresende sich häufenden Rück- und Ausblicken eine wunderbare Wirtschaftswelt malen. Die schlimmste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit scheint überwunden. Wohin Kohl und sein Wirtschaftsminister auch blicken, alles wächst; wo sie auch hinhören, alle sind optimistisch. Ein Grund mehr, an der bisher angeblich so erfolgreichen Politik nichts zu ändern.

Bei jenen, die etwas weiter denken, hält sich die Freude über solche Verheißungen jedoch in Grenzen. Denn auf was es ihnen ankommt, sind weniger die Prognosen als vielmehr die ökonomische Strukturentwicklung. Und hier gibt es weiterhin keinerlei Anlaß zur Euphorie. Daß der Aufschwung nach wie vor auf wackeligen Beinen steht, hat gestern auch das Berliner DIW noch einmal deutlich gemacht. Gerät die Exportwirtschaft, nicht zuletzt wegen des Dollar-Wertverfalls, wieder unter Druck, kann es schon bald einen herben Rückschlag geben. Auch gibt die Konjunktur nicht viel her, was auf eine deutliche Entlastung des Arbeitsmarktes hoffen ließe. Da helfen auch moderate Lohnforderungen, deren Anmahnung inzwischen zum Ritual der Gutachter geworden ist, nicht viel weiter.

Und wo Prognostiker wie Politiker nun wieder in alte Wachstumsbegeisterung verfallen: Umsonst allerdings gibt es das alles nicht. Das Wachstumsfest, mit dem jetzt sehnsüchtig wieder eine Zunahme des Wohlstands verbunden wird, hat seinen festen Preis, den spätere Generationen zu zahlen haben: für die Ausplünderung der Natur, für mangelnde Vorsorge gegenüber dem Alter, für die unaufhaltsame Verschuldung des Gemeinwesens. Hier haben die Wirtschaftsforscher zwar Korrekturen angemahnt – doch Nachdenken über den Verschuldungstrieb könnte die Festfreude genauso trüben wie eine Besinnung auf die ökologischen Folgen ungehemmter Produktion. Erwin Single

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