: Dankesrede des Bremer Literaturpreisträgers Reinhard Lettau
Sehr geehrte Damen und Herren,
der wahre Zauberer erscheint nicht vor rotem, sich öffnendem Vorhang, nichts entflattert der plötzlich geöffneten Hand, keine zersägte Person verneigt sich später lächelnd in einem Stück.
„Ärgerlich ist“, versetzt er, „die gedachte Welt der Kollegen! Wäre nicht der von hier aus geschleuderte Ball, der dort, statt unterwegs zu verschwinden, eintrifft, willkommen? Sollte der Umstand, daß der Krug, den ich hier niedergestellt, allen Beschwörungen zum Trotz fest verankert auf seinem Platze verharrt, keine Quelle des Trostes sein? Und daß, wenn aus ihm Wasser fließt, aus ihm Wasser fließt? Er leer ist, wenn er leer ist? Die Gegenstände sich nicht frech auflösen: Ihre schöne Begrenzung bewahren? Dürften nicht schon vom Anblick des Löffels, wenn man ihn betrachtet, alle Fragen erstarren? Fremde Wünsche entfliehn?“
Demnach bittet der Zauberer die in der Nähe befindlichen Personen, ihm in die leere Tasche zu greifen. Bald kehren diese zu ihren Plätzen mit der Beobachtung, die Tasche sei leer, zurück. Nun schlägt sich der wahre Zauberer mit der Hand auf die leere Tasche und ruft hinzu: „Bleibe leer!“ Die anschließende Untersuchung der Tasche ergibt, daß sie leer ist.
„In dieser Hand“, ruft nun der wahre Zauberer, „halte ich die Tasse!“ Er läßt die mit bunten, saftigen Früchten bemalte, innen vergoldete Tasse anfassen. Sie wird an die Lippen gehoben. Nachdem die Tasse unter ernstem, zögerndem Nicken zurückgereicht wurde, erklärt der wahre Zauberer, daß er die Tasse nun zu Boden fallen lassen und sie hierbei in mehrere Stücke zerspringen werde.
Ein hinten im Saal von seinem Stuhl sich erhebender Sektierer, dem man trotz herbeispringender Eile den Mund nicht mehr zuhalten konnte, trägt mit zur Hand geneigtem Kinn den Wunsch vor, die Tasse möge unbeschädigt vom Boden wegprallen: „Wir wollen, daß die Tasse ganz bleibt!“
„Sollten wir sie dann lieber nicht gleich“, spottet der Zauberer, um seine Rührung zu verbergen, „als entferntes, stilles Ballett nebeneinander hüpfen, als Stoßgeier fortfliegen lassen? Sind uns diese Sachen nicht schon länger bekannt?“ Dann erhebt er die Tasse, zeigt sie noch einmal, läßt sie los, sie zerspringt am Boden, der Zauberer verneigt sich, Applaus: etwas, für das es keine Erklärung gibt, ist geschehen.
„Befindet sich“, ruft der wahre Zauberer nun, „hier zufällig eine Dame, die es mir gestatten würde, sie zu zersägen, dergestalt, daß sie danach zersägt wäre?“ Es meldet sich nun aber keine Dame: Verlegenheit im Publikum. Der Zauberer, betrübt, läßt sich in eine Kiste legen, die von den Assistenten mit sieben Schlössern verschlossen wird. Nun warten die Zuschauer, daß er aus der Kiste herauskomme. Dies geschieht nicht und je länger es nicht geschieht, desto seliger das Publikum über diesen Triumph der ihr Recht wieder behauptenden Natur, desto teurer verehrt es das Andenken des in seinem Gehäuse vibrierenden, dann still ruhenden wahren Zauberers.
Ich danke der Jury der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung für den mir zuerkannten Preis, den ich nicht erwartet habe, da ich schon lange mich mit der Beobachtung abgefunden hatte, daß Bücher, die man auszeichnet, schwerer sind als meines, wenn man sie nach Hause trägt.
Ganz empfindlichen Dank!
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