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Archiv-Artikel

DVDESK Draußen bei Wölfen und Feen

„Das Geheim- nis von Kells“ (F/Belgien/ Irland 2009; Regie: Tomm Moore, Nora Twomey)

Einerseits ist Brendan in „Das Geheimnis von Kells“ ein tapferer Junge wie viele andere Protagonisten in den Animationsfilmen dieser Welt. Er bewährt sich in einer Umgebung, in der die Erwachsenen eher versagen, er kämpft gegen dunkle Mächte, er rettet, was ohne ihn verloren wäre und mit dem rite de passage, von dem die Geschichte erzählt, wird er selbst vom Jungen zum Mann. So weit so generisch.

Andererseits lebt Brendan im Irland des 8. Jahrhunderts und ist der Sohn eines Abtes. Das Kloster, das beide bewohnen, ist durch heranstürmende Wikinger-Barbaren bedroht. Als aus dem Kloster von der Insel Iona der Mönch Aidan ein noch unvollendetes Buch ins Kloster von Kells bringt, das gerade zur Festung ausgebaut wird, hat der Abt Besseres zu tun, als sich um die Buchillustrationskunst zu kümmern. Anders als Brendan.

Brendan wagt sich hinaus, in den Wald, in dem die Wölfe leben und ein mythisches Untier, aber auch Aisling, ein feeisches Wesen, das allerlei Zauberkräfte besitzt und später, nur zum Beispiel, eine Katze in einen schlüsselstibitzenden Wind transformiert. Im Wald sammelt Brendan gegen das Verbot, das der Vater aussprach, die Beeren, die der Mönch Aidan für die grüne Farbe zur Illustration braucht. Und dann wird Brendan selber zum Künstler, malt, flüchtet, die Wikinger kommen, das Kloster brennt und Brendan rettet das Buch von Kells.

Das klingt so weit nach einer etwas angestrengt bildungsbürgerlich-europäischen Variante vertrauter Geschichten. Nur ist, wer sich dem „Geheimnis von Kells“ über Figuren oder Plot nähert, eigentlich auf dem Holzweg. Auch wer die Erzählung auf historische Fakten abklopft, kann über die blühende synkretistische Fantasie des Drehbuchautors Fabrice Ziolkowski nur staunen. Und die allzu christlichen Zuschauer werden sich fragen, warum der Film an keiner Stelle erzählt, dass das „Book of Kells“ die vier Evangelien enthält.

Aber all das ist eben ganz nebensächlich. In Wahrheit sind einem nämlich die Augen vom ersten Bild an übergegangen. Tomm Moore und seine Mitregisseurin Nora Twomey schaffen hier eine Bildwelt, die ihre Inspiration aus dem „Book of Kells“ zieht, das heute im Trinity College in Dublin für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Und da es zu den schönsten Werken der mittelalterlichen Buchmalerei zählt, ist der Film visuell ein einziges Fest.

Wuchern der Ornamente

Um die Konventionen der sonst so für Kinder gedachten Animation scheren die Schöpfer von „Das Geheimnis von Kells“ sich wenig. Weder mit Miyazaki noch Disney hat das etwas zu tun; eher schon mit Lotte Reinigers Scherenschnittfilmen, der ausgestellten Zweidimensionalität und der Lust an der Abstraktion wegen. Es wuchern die Ornamente von den Rändern her, bis sie zur Hauptsache werden, dann kehrt in einem stets offenen Hin und Her die Figuralität der Protagonisten zurück. Die Zentralperspektive als Ordnungsprinzip spielt – wie in der Buchmalerei – keine Rolle, es werden aber auch die Personen zu Blöcken verschoben und menschliche Körper bisweilen so abstrahiert, dass sie mehr Farbe und Form sind als irgendwas sonst.

Der Wald und die Bäume, die Mauern des Klosters mit ihren Gerüsten, die Haare von Aisley wie Rauch oder eine wehende Fahne, der baumlange rote Körper des Abtes und die Plattfinger der Mönche – „Das Geheimnis von Kells“ entwirft eine Zeichenwelt in ständigem Wandel und scheint dabei angetrieben von einer unstillbaren Bildfantasie. Warum der für den Oscar nominierte Film in Deutschland nicht in die Kinos gelangte, weiß mal wieder der Teufel. Auch die DVD kommt nun mit drei Jahren Verspätung, aber immerhin kommt sie. EKKEHARD KNÖRER

■ Die DVD ist ab rund 14 Euro im Handel erhältlich