DORIS AKRAP LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : 23 Tote und ein Unternehmen
Dieses Mal war es keine militante Demonstration, kein bossnapping und auch keine Fabrikbesetzung mit Sprengungsdrohung, die eine französische Firma dazu brachten, die Forderungen der Arbeiter ein wenig ernster zu nehmen. Anlass für das Unternehmen France Télécom, am Montag sein Umstrukturierungsprogramm vorläufig zu stoppen, war der Selbstmord einer Angestellten. Sie war nicht die erste. Bereits 23 Mitarbeiter haben sich in den letzten 18 Monaten umgebracht. Der Konzern, der in drei Jahren 22.000 Stellen strich, lässt nun die internen Arbeitsbedingungen untersuchen.
Am selben Tag verlautbart die EU, die Konjunkturprognosen für die französische und die deutsche Wirtschaft würden erhöht. Flugs fühlen sich jene wieder bestätigt, die linken Kritikern vorwerfen, ewig der Lust am Untergang zu frönen. Denn siehe, es gehe vorwärts: Im Bundestag etwa konstituiere sich nun sogar die Kommission zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Sicher, ein solcher (der in Frankreich seit 1950 besteht) ist zu begrüßen. Doch Schritte wie diesen als unzureichend zu kritisieren, hat nichts mit Schwarzseherei zu tun, sondern mit der dramatischen Wirklichkeit des Kapitals und seiner Krise, von der die Selbstmorde bei France Télécom zeugen.
Das „positive thinking“ hat auch die amerikanische Journalistin Barbara Ehrenreich alarmiert. Im Oktober erscheint bei Metropolitan Books New York ihr neues Buch „Bright-Sided“ (übersetzt etwa: Gut gelaunt). Die Publizistin, die sich seit Jahren mit den Schrecken der liberalisierten Arbeitswelt beschäftigt, hält den falschen Optimismus gerade angesichts der Wirtschaftskrise für tödlich. Der erhöhte Druck, als gute Lösung verkauft, lasse den Einzelnen nicht an den Arbeitsbedingungen, sondern an der eigenen Leistungsfähigkeit zweifeln, was in den Selbstmord treiben kann.
Auch wenn die permanente Opposition zum Bestehenden die eigene Psyche sicher nicht unbeschadet zurücklässt, ist eine gehörige Portion Grundskepsis an den Imperativen des Kapitals am Ende vielleicht doch gesünder für Leib und Leben.
■ Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz