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Archiv-Artikel

DORIS AKRAP LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Die Spiele, der Krieg und das Abendland

Ein wenig muteten die Ereignisse der vergangenen Woche so an, als hätte sich die halbe Welt zum „Junta“ -Spielen verabredet. Bei diesem 1979 entwickelten, unter Linksradikalen ehemals sehr beliebten Brettspiel muss die Opposition den Präsidentenpalast stürmen (Rothemden/Thailand); eine der wichtigsten Etappen liegt darin, den Präsidenten der „República de las Bananas“ zu stürzen (Kurmanbek Bakijew/Kirgisien); der Präsident ist in der Regel nur wenige Runden koalitionsfähig, denn irgendwann dreht er durch und wendet sich von seinen Verbündeten ab (Hamid Karsai/Afghanistan); die Entwicklungshilfegelder werden vom Präsidenten vor allem an militärisch wichtige Mitspieler verteilt (Dirk Niebel/Deutschland).

Der einzige Unterschied zwischen Wirklichkeit und Brettspiel besteht derzeit in der Sicherheit des Schweizer Kontos. Alles Geld, was im Spielverlauf auf das Schweizer Konto eingezahlt wird, ist absolut sicher. Das war bis vor kurzem in der Wirklichkeit auch so, hat sich aber mit der Steuer-CD geändert.

Und dann war da noch das von WikiLeaks veröffentlichte Video, das zeigt, wie Zivilisten in Bagdad 2007 aus einem US-Hubschrauber heraus erschossen werden. Dieses Video wiederum erinnerte viele Videogamer an „Call of Duty: Modern Warfare“ und dessen Level „Death from Above“. So beispielsweise den Slate-Kolumnisten Christopher Beam. Doch dieser vertrat nicht die Meinung, das Videospiel verrohe die Sitten und sei ein Kulturverfall, die Apokalypse des Abendlands nahe. Die Videospiele seien nicht für die Tragödie in Bagdad verantwortlich, doch bessere Spiele könnten den Soldaten helfen, sich besser auf die Verhältnisse in der Realwelt vorzubereiten, und dazu dienen, die nächste Tragödie zu vermeiden. Wer das nicht glaubt, der lese bei Gerhard Hentschel („Menetekel“. Eichborn, Frankfurt a. M. 2010) nach, dass Kulturpessimisten schon seit 3.000 Jahren vergeblich auf den Untergang des Abendlandes warten.

Die Autorin ist Kulturredakteurin dieser Zeitung Foto: privat