: DIW befürchtet Versanden der UdSSR–Wirtschaftsreform
■ Weiterhin noch starke administrative Lenkung / Kein freier Devisenhandel Staatliches Plankomitee auf Rolle eines „wissenschaftlichen Stabes“ zurückgeführt
Berlin (dpa) - Der Umbau der sowjetischen Wirtschaft bringt trotz marktwirtschaftlicher Ansätze vorerst keinen Verzicht auf administrative Lenkungsmethoden. Zu diesem Schluß kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Analyse des Ende Juni verabschiedeten Gesetzes über staatliche Unternehmen in der UdSSR. Das DIW äußert zwar angesichts der „überaus schwierigen Ausgangslage“ Verständnis für ein solches schrittweises Vorgehen, fügt jedoch hinzu, darin liege auch die Gefahr, daß der Reformprozeß „insgesamt im Sande verläuft“. Dies zu verhindern, werde die wichtigste Aufgabe der Reformer in den nächsten Jahren sein. Das Gesetz, das zu Beginn nächsten Jahres in Kraft tritt, gilt zunächst nur für 30 Branchenministerien. Durch eine explizite Rechtsgarantie werden die Unternehmen vor willkürlichen Eingriffen und Auflagen zentraler Behörden geschützt und die Stellung der Belegschaften durch die geheime Wahl des Betriebsrats gestärkt. Die Besetzung von Stellen mit Leitungsfunktionen kann ebenfalls in geheimer Abstimmung erfolgen. Künftig müssen die staatlichen Unternehmen kostendeckend arbeiten und ihre Investitionen selbst erwirtschaften. Sie dürfen sich zu staatlichen Produktionsvereinigungen zusammenschließen, ohne ihre wirt schaftliche Selbständigkeit aufzugeben. Das staatliche Plankomitee „Gosplan“ werde auf die Rolle eines „wissenschaftlichen Stabes“ zurückgeführt. Seine Beschäftigung mit laufenden Wirtschaftsfragen sei nicht mehr vorgesehen. Erheblich beschnitten würden die Kompetenzen der Branchenministerien. Sie dürfen laufende Wirtschaftsaktivitäten der Betriebe nicht mehr lenken und sollen nur noch die langfristige Branchenentwicklung steuern. Andererseits werde die Selbständigkeit der Unternehmen durch die „Staatsaufträge“ eingeschränkt. Durch sie würden in der verarbeitenden Industrie 50 bis 70 Prozent der Produktion erfaßt, im Bergbau sowie der Öl– und Gasförderung liege der Anteil noch höher. Als eigentliches Kernstück des Reformkonzepts wertet das DIW die Zurückdrängung „der administrativ–zentralistischen Versorgung“ der Unternehmen mit Ausrüstung und Material. Künftig dürfen Produktionsmittel überwiegend im Rahmen des Großhandels frei verkauft werden. Die Umstellung soll bis 1992 abgeschlossen sein. Die wichtige Preisreform ziele auf einen drastischen Subventionsabbau. Gegenwärtig betrage das Subventionsvolumen 73 Milliarden Rubel, das sind knapp 18 Prozent der Staatsausgaben. Künftig würden Preise staatlich vorgegeben, könnten nach bestimmten Preisbildungsregeln vertraglich vereinbart oder selbständig festgelegt werden. Das Recht zur freien Preisgestaltung erhalten vor allem Agrarbetriebe, und zwar nicht nur für die gesamte von ihnen erzeugte überplanmäßige Produktion, sondern auch für einen Teil der geplanten Produktion. Zudem wird die staatliche Preisfestsetzung dezentralisiert. Völlig umgestaltet wird auch das Bankensystem. Derzeit erfolgt die Kreditgewährung zweigübergreifend, und zwar durch die Staatsbank und die für Investitionsfinanzierung zuständige Strojbank. Künftig soll sich die Staatsbank auf die Lenkung der Geld– und Kreditpolitik konzentrieren und für Kredite an den nichtproduzierenden Bereich zuständig sein. Die übrige Kreditgewährung erfolge über fünf selbständige Geschäftsbanken, die nach dem Prinzip der vollen wirtschaftlichen Rechnungsführung und Selbstfinanzierung arbeiten. Das DIW bedauert, daß der Handel zwischen Unternehmen mit frei verfügbaren Devisen, bei dem sich der Rubelpreis für Fremdwährungen nach Angebot und Nachfrage bilden würde, in der UdSSR, anders als in Polen, noch nicht vorgesehen sei. Die Reformer beraubten sich damit einer Möglichkeit, einen wirtschaftlich sinnvollen Wechselkurs des Rubels zu finden.
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