DIOXIN IM BIO-EI SPRICHT NICHT FÜR KÄFIGHALTUNG : Realismus tut Not
Weil Hühner mit dem Picken der Körner unter freiem Himmel auch die allfälligen Umweltgifte der Industriegesellschaft aufnehmen, findet sich Dioxin selbstredend im Freilanddotter. „Öko-Eier: Giftgefahr“, tönt der Boulevard. „Einzelfälle“, erklärt die Landwirtschaftsbürokratie. So viel ist sicher: Eine unmittelbare Gefahr besteht trotz Grenzwertüberschreitungen nicht. In welchem Umfang die Eierproduktion betroffen ist, bleibt unklar. Was jetzt folgen muss, sind saubere Kontrollen der Freilandware. Aber nur weil der Käfig beim Thema Dioxin besser abschneidet, muss niemand zum verfemten Gefängnisei zurückkehren.
Der Eiertanz zeugt von Schizophrenie in Sachen Nahrung. Am Donnerstag beginnt in Berlin die „Grüne Woche“, die weltweit größte Leistungsschau der Menschenfutterindustrie. Sie wird wie immer die heile Welt der bärenstarken Kaffeesahne aus guter Alpenmilch, der mit reinstem Felsquellwasser gebrauten Biere und der liebevoll in Deutschland aufgezogenen, geschlachteten und zerlegten Glückshähnchen beschwören. Frei nach dem Motto: „Mutter Natur. Vater Sonnen-Bassermann“. Wir wollen das so. „Freilandhaltung“ ist nach dieser Weltanschauung gut, „Bio“ das höchste der Gefühle: rundum sauber und gesund.
Doch die Mutter Natur ist gemein zu uns. Sosehr wir widerstandslos an das von der Werbung vorgegaukelte Gegenteil glauben wollen: Die vorhandenen Schadstoffe in der Luft, im Boden und im Wasser machen keinen Unterschied zwischen Öko-Hof und konventionellem Industriebauerntum. In ganz perversen Fällen – wie diesem rund um das Fast-Öko-Freiland-Ei – stehen bei entsprechender Einzelfallbetrachtung die Hühner-KZ plötzlich mit der weißeren Weste da.
Essen ist eben nicht einfach. Die Auflistung von Inhaltsstoffen wird immer Pflichtlektüre bleiben müssen und sollte ohne Rücksicht auf mögliche Appetitzügler ausgeweitet werden. Realismus tut Not: Die „frische“ Ananas, feilgeboten für 99 Cent mitten im deutschen Winter, kann es zu diesem viel zu günstigen Preis nur geben, weil an anderer Stelle draufgezahlt wird. STEFFEN GRIMBERG