DIETER BAUMANN über LAUFEN : In einem gegenläufigen Gespräch
Manfred Lütz hält das Laufen für ein Zeichen des Gesundheitswahns. Ich war anderer Meinung und sagte ihm das auch
Dr. Manfred Lütz saß auf einem großen Ohrensessel mir gegenüber. Er wirkte offen, plauderte herzlich und lachte oft, ist von großer Statur, trägt einen weißen Vollbart und hinter der großen Brille blitzen freundliche Augen. Dr. Lütz ist Chefarzt einer psychiatrischen Klinik und schreibt Bücher. Wir sollten ursprünglich bei einer Podiumsdiskussion in Ulm beim deutschen Katholikentag aufeinander treffen, aber ein unaufschiebbarer Termin meinerseits – ich war mit einigen Menschen beim Laufen, einfach so, zum Spaß und ohne Wettkampfgedanke – verhinderte das. Eines von vielen Motiven, warum diese Menschen laufen, ist ihre Gesundheit.
Nun endlich also saßen wir uns in einer Hotellobby gegenüber. Dr. Lütz nämlich sieht das mit dem Gesundheitsargument ganz anders. Die Fitnesswelle und der Laufboom ist für ihn Ausdruck einer Art Gesundheitswahn, Fit for fun ist nach seiner Ansicht ein „Arbeiten für das neue ewige Leben“. Er bezeichnet „Gesundheit“ als durchgeknallte Religion und die Ärzte, Psychotherapeuten und Fitnessgurus als Hohepriester dieses Kults. Mit dem Fitnessguru bin dann ich gemeint und – das erklärt, warum es für eine Zeitung so spannend war, Dr. Lütz und mich zum Gespräch in zwei großen Ohrensessel gegenüberzusetzen.
Scharfsinnig fragt er zu Beginn unserer Unterhaltung: „Was ist denn eigentlich Gesundheit? Ist sie herstellbar, produzierbar?“, ließ den alten Philosophen Gadamer zu Wort kommen („Die Gesundheit können wir weder herstellen und machen noch eigentlich feststellen und wissen“) und stellte die Gesundheit als höchstes Gut in Frage. Das Streben nach Gesundheit sei für ihn ein Phantom, das den Menschen von der Politik, der Gesundheitsindustrie und der Branche der Fitnessstudios eingeredet und aufgezwungen wird.
Mit wunderbar formulierten Sätzen – rhetorisch bemerkenswert – unterstellte er, dass das Fordern einer gesundheitsbewussten Lebensweise Menschen zu Sklaven ihrer selbst werden lässt. Unglaubliche Mühen würden dabei verlangt, Drohungen ausgesprochen und Entsagungen abverlangt. Kurz, Menschen würden ihrer Lebenslust beraubt.
Nun bin ich wahrlich kein Fitness- oder Laufguru. Vielmehr verstehe ich mich als Laufexperte und kann in Sachen Laufen allerlei gute und brauchbare Tipps geben: Was, wie und wann gemacht werden kann und was eben nicht. Wichtig für mich sind dabei die Menschen, vielmehr welchen Grund sie angeben zu laufen oder mit dem Laufen beginnen wollen. Eine bessere Gesundheit wird häufig genannt, ist aber nicht das alleinige Motiv, warum sich so viele Menschen in Bewegung setzen. Keinesfalls allerdings laufen sie, wie Dr. Lütz unterstellt, um nach der ewigen Gesundheit zu streben oder weil sie die ewige Jugend vor Augen haben. Schon gar nicht glauben sie an ein „neues ewiges Leben“. Weder bin ich Philosoph noch Arzt. Ich bin nur Läufer und weiß, wie es einem nach einem lockeren Dauerlauf geht. Ich weiß, dass viele Menschen nach dem Laufen ganz einfach das Gefühl haben, dass es ihnen besser geht. Sie fühlen sich körperlich und geistig wohler. Ganz unabhängig davon, ob die einen damit den Zweck verbinden, einige Pfunde zu verlieren, oder die anderen den Zweck einer besonderen Herausforderung suchen, nach einem Wettkampf oder einem Marathon zu streben. Mit Gesundheitswahn hat das alles wenig zu tun. Viele Läuferinnen und Läufer laufen sogar völlig zweckfrei durch den Wald. Laufen als Müßiggang. Da saßen wir nun in der Hotellobby auf den großen Ohrensesseln und waren uns nach zwei Stunden Gespräch ganz nahe. So nah wie unsere beiden Buchtitel: Das eine, die „LebensLust“ (Lütz), schließt das andere, „Laufen Sie mit“, nach meiner Ansicht nicht aus, ganz im Gegenteil. Zweckfrei durch den Wald spazieren, das hatte Dr. Lütz im Gespräch gefordert. „Aber das tun wir Läufer doch“, rief ich ganz spontan aus. Viele laufen nur zum Spaß, ohne Grund und lassen die Seele baumeln. Unbestreitbar ist das doch ein hoher Erholungswert und ganz am Rande hat es dann doch mit Gesundheit zu tun.
Fotohinweis: DIETER BAUMANN LAUFEN Fragen zur Gesundheit? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS