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Archiv-Artikel

DIETER BAUMANN über LAUFEN Fett gegen die NPD

Seit letzter Woche bin ich glatt beruhigt, dass Außenminister Joschka Fischer wieder zugenommen hat

Wenn Menschen sich Gedanken zu „mehr Bewegung“ machen, denken viele an Laufen. Kaum machen diese Menschen dann ihren ersten Laufschritt, denken sie unweigerlich über ihren Körper nach. Schließlich muss man ihn beim Laufen zunächst in Bewegung bringen, dabei atmet man hörbar laut, schwitzt „Blut und Wasser“ und nachher spürt man ihn sogar – seinen Körper. Laufen hat auch heute etwas Archaisches, Uriges, hat etwas mit Körperlichkeit zu tun.

Führt man diesen Gedankengang konsequent zu Ende, stellt sich nach dem Laufen die Frage nach der (richtigen) Ernährung. Selbstverständlich nicht nur nach dem Laufen, schließlich würde jeder verhungern, der nur nach dem Laufen essen würde. Nein, bei der Frage der Ernährung geht es vielmehr darum, was wir den lieben langen Tag essen oder trinken, meist ist das ja nicht wenig.

Nun gibt es eine Vielzahl von Experten auf diesem Gebiet, und eine Botschaft fürs Läufervolk war bis vor kurzem folgende: „Kaffee ist ungesund.“ Er sei ein Vitaminräuber und noch viel schlimmer: „Er entzieht dem Körper Wasser.“ Flüssigkeit also, die wir beim Laufen brauchen. Die neuste Studie zu diesem Thema sagt nun: alles Quatsch. Für Menschen, die seit Jahren einige Tassen Kaffee am Tag trinken, stimme diese Aussage nicht. Aufgrund der Gewöhnung könne man sogar den Kaffeegenuss der täglichen Flüssigkeitszufuhr zurechnen.

Genau das Gegenteil war über viele Jahre gepredigt worden. Es gab Ernährungsexperten, die forderten mich immer auf, zu jeder Tasse Kaffee einen halben Liter Wasser zu trinken. Bei vier bis fünf Tassen Kaffee ergab das eine Wassermenge von über zwei Litern! (Heute weiß ich, warum ich ständig … und heute weiß ich auch: schuld war nicht der Kaffee!) Intuitiv hatte ich also alles richtig gemacht, hatte mir den Kaffee nicht abschwatzen lassen.

Eine zweite Botschaft der Ernährungsexperten hat allerdings immer noch ihre Gültigkeit: „Iss nur so viel, wie du (ver)brauchst.“ Ich finde die Botschaft deshalb toll, weil sie einfach ist. Einer, der diese Botschaft eine Zeit lang lebte, war unser Außenminister Joschka Fischer. Er stand als Vorbild, denn trotz Staatsbesuchen, Reisen und Protokollen, trotz Sektempfang hier und Wein dort schaffte er das Unglaubliche: Joschka Fischer wurde rank und schlank, war fast so fit wie der Turnschuh, den er bei seinem ersten Auftritt im Landesparlament trug. Er lief früh morgens oder spät am Abend, integrierte seine Laufeinheiten in den Wahlkampf und dann lief er sogar Marathon. Nun witzeln einige Läuferinnen und Läufer, dass der Weg zu sich selbst nicht so lange angedauert hat, denn im Moment sieht Joschka Fischer nicht nach Marathonform aus.

Dass jedoch auch Politik, ebenso wie Laufen, etwas mit Körperlichkeit zu tun hat, zeigte mir Joschka Fischer in der letzten Woche. Ich war fast erleichtert, aus psychologischen Gründen beinahe beruhigt, dass Joschka Fischer im Moment so aussieht, wie er aussieht. Der Gedanke kam mir nach dem Eklat der NPD im Landtag von Sachsen.

Hämisch grinsend, ja sogar bösartig provokant haben die NPD-Abgeordneten eine Gedenkminute für die Opfer der Nationalsozialisten für ihre geistig tief fliegenden Gedanken auszunutzen versucht. Das politische Schwergewicht, unser Außenminister, schritt wie andere Politiker mit klaren Worten diesen nicht lernfähigen Leuten entgegen. Dabei unterstrich eben auch seine „Körperlichkeit“ seine Argumente und angesichts seiner Leibesfülle werfen ihn diese im Grunde politischen – wenn auch gefährlichen – Leichtgewichte nicht so einfach um.

Was sich die NPD leistet, ist beleidigend für die Opfer und beschämend für uns. Wir sollten alles tun, damit sich dieses alte Gedankengut nicht wieder breit machen kann. Es gilt der NPD auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen entgegenzutreten, um eine Ausgrenzung von und Hass gegen Minderheiten zu verhindern. In dieser Hinsicht hat Fischers Körperlichkeit und Körpersprache diese Botschaft ohne viele Worte deutlich gemacht.

Fragen zur Leibesfülle? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander SCHICKSAL