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Archiv-Artikel

DIETER BAUMANN über LAUFEN Fit fürs Global Village

Ein Abendlauf mit Wirtschaftsexperten in Kenia wirft doch Fragen auf: Wer entwickelt hier eigentlich wen?

Letzte Woche hatten sich in einem kleinen Ort in Kenia zwei Expertengruppen versammelt. Eine bestand aus Wirtschaftsexperten, die für unterschiedliche Institutionen Entwicklungshilfe leisteten: vom Trainingsprogramm für bessere Lohnbuchhaltung bis hin zur Unternehmensberatung für eine kleine Schneiderwerkstatt. Sie arbeiten und leben für eine globale Zukunft. Die anderen waren wir, die Laufexperten.

Auch wir sind wegen der Entwicklungshilfe da, allerdings in umgekehrter Weise, denn schließlich laufen unsere afrikanischen Kollegen viel schneller als wir. Doch bin ich mir nicht immer ganz sicher, wer für wen auf welchem Gebiet Entwicklungshilfe leisten sollte.

Um unseren Wirtschaftsleuten zu zeigen, dass es nicht nur ein zukünftiges Global Village gibt, sondern auch ein sehr reizvolles Heute, entführte ich sie zu einem kleinen Tümpel. Sie wollten nicht glauben, dass es nur 20 Gehminuten vom Hotel entfernt Flusspferde zu bestaunen gibt. „Richtige Flusspferde? Wilde, freie Flusspferde?“ Kurz vor der Dämmerung machten wir uns auf den Weg. Auf kleinen geschlängelten Pfaden, die sich in der Abendsonne deutlich auf der roten Erde abzeichnen, folgten wir zunächst vielen anderen Menschen, die auf dem Nachhauseweg waren.

Es lag eine ruhige friedliche Stimmung über dem Land. Wir hörten dem Singsang der fremden Sprache zu, wurden bestaunt und befragt und bogen nach 10 Minuten in einen noch kleineren Pfad ein. Es war kein wirklicher Weg – eher eine Andeutung davon. Dieser Andeutung folgten wir, bis wir vor einem kleinen See standen. Hohe Gräser ragten aus dem Wasser, Vögel flogen durch die Luft, und ab und zu drang ein lauter, wilder Schrei an unser Ohr. Ansonsten rührte sich nichts. Das Wasser war ruhig und glatt. Wir warteten. Die Sonne senkte sich sehr schnell und verschwand hinter dem Horizont. Und plötzlich waren die Flusspferde da.

Zunächst sahen wir nur die kleinen Ohren, die die glatte Wasserfläche durchbrachen. Dann folgte ein Kopf. Drei Flusspferde waren in der Mitte des Sees aufgetaucht und schwammen langsam auf uns zu. Sie waren mittlerweile keine zehn Meter von uns entfernt. Ich versuchte mir vorzustellen, wie schnell Flusspferde wohl laufen können, und erinnerte mich an ein Gespräch mit einem Angestellten des Hotels. „Flusspferde sind sehr angriffslustig“, hatte er damals gesagt.

Mit Sorge schaute ich über meine Schulter zurück, um den vermeintlichen Fluchtweg in Augenschein zu nehmen. Hinter uns war eine kleine Wiese. Darauf schlängelten sich verschiedene Pfade, die jetzt, bei Einbruch der Dunkelheit, kaum noch zu erkennen waren. Bis zu einem schützenden Gebüsch – wenn es überhaupt vor wütenden Flusspferden Schutz bieten würde – waren es knapp 100 Meter. Kann ich bei Nacht genauso schnell laufen wie bei Tag? Diese Frage ging mir in diesem Augenblick durch den Kopf und beschäftigte uns noch am Abend bei einer Tasse Tee am Kamin. Zum Laufen bei Nacht gibt es zwei Theorien:

Die erste sagt, wir laufen bei Nacht auch ganz ohne Flusspferde schneller. Denn wir laufen mit einem höheren Kniehub als bei Tage, um nicht über eventuelle Hindernisse zu stolpern. Mit diesem höheren Kniehub erhöht sich automatisch die Laufgeschwindigkeit.

Die zweite Theorie sagt, dass wir langsamer laufen. Da wir Unebenheiten auf dem Boden nicht sehen können, muss unser Fuß reflektorisch auftreten. Unsere Muskulatur ist in einer ständigen Alarmbereitschaft, um auf diese Unebenheiten ausgleichend zu reagieren. All das kostet Kraft, und wir werden langsamer. Eines zumindest ist sicher: Besser bei Nacht laufen als gar nicht. Zum Glück blieben unsere Flusspferde im Wasser.

Am nächsten Morgen trafen wir uns um 6 Uhr mit 15 kenianischen Läufern zum Dauerlauf. Es war stockdunkel. 20 Minuten tappten wir über holprige Wege, dann wurde es hell und wir rannten nur so dahin. Es gab einen neuen Trainingsrekord und alle strahlten. So viel zur Entwicklungshilfe.

Fragen zum Nachtlauf? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt KLATSCH