piwik no script img

Archiv-Artikel

DIETER BAUMANN über LAUFEN Ein Fachmann fürs Finden von Katzen

Wie ich lernte, warum man beim Dauerlaufen herrenlose Tiere besser mal links liegen lassen sollte

„Wissen Sie, Herr Baumann, was mir kürzlich passiert ist? Jemand wollte mich verprügeln. Auf offener Straße. Einfach so.“

Mein Gegenüber sah mich mit großen Augen an und wirkte etwas aufgewühlt. Ich hatte mich spontan entschieden, an einem der vielen Vorweihnachtsläufe teilzunehmen. Danach hatte ich mich bis zur Kuchentheke durchgekämpft. Schon vor dem Start war mir eine Nusstorte aufgefallen, die ich nun, nach getaner Arbeit, auf meinen Teller lud. Die Gabel mit dem ersten Stück war nur noch wenige Zentimeter von meinem Mund entfernt, als dieser Mann auf mich zustürmte und mich mit der „Prügel-Nachricht“ davon abhielt. Ich senkte die Gabel.

„Ich sehe schon, Sie glauben mir nicht. Aber es ist wahr. Mitten auf der Straße bedrohten mich wildfremde Menschen. Sie würden mich bald verprügeln, haben sie gesagt.“

„Was heißt das, einfach so verprügeln?“, fragte ich: „Was ist denn passiert?“

„Die Geschichte fing ganz harmlos an. Während eines Dauerlaufs habe ich auf der Strecke eine Katze gefunden. Das Tier war total verwahrlost. Hätte ich die Katze einfach zurücklassen sollen? Das wollte ich nicht, da habe ich sie erst einmal mitgenommen und dann zum Tierarzt gebracht. Es war eine Perserkatze mit ewig langem Haar. Mann, hatte die Läuse! Es war ein Wahnsinn.“ Mit leichtem Magenknurren schaute ich auf meinen kleinen Teller, versuchte aber, die Nusstorte auszublenden, und fragte: „Wie findet man eigentlich eine Katze?“

„Ach, Katzen finden ist eine Spezialität von mir. Ich habe da einen Blick dafür“, meinte mein Gegenüber mit triumphierendem Lächeln. „Sie müssen wissen, ich möchte im nächsten Jahr einen Marathon laufen, und deshalb mache ich seit zwei Monaten jeden Sonntag einen langen Dauerlauf. Ich war gerade 15 Minuten unterwegs, da fiel mir in einer Seitenstraße eine Katze auf. Die saß ganz allein auf dem Gehsteig. Natürlich habe ich zunächst gar nichts dabei gedacht, das heißt, ich dachte, schau doch auf dem Heimweg noch mal genauer hin. Und tatsächlich: Als ich nach einer Stunde wieder an derselben Stelle vorbeikam, saß die Katze noch immer auf demselben Fleck. Sie werden es nicht glauben, aber als ich nun ganz stehen geblieben war, kam sie sofort auf mich zu und schnurrte um meine Beine rum, das war wirklich süß. Aber eines sah ich auf den ersten Blick: Die war total verwahrlost, wirklich. Irgendwie war die Sache für mich klar: Die hat kein Zuhause.“

Katze hin, Zuhause her, nach einem Dauerlauf überkommt mich sehr schnell ein fürchterliches Hungergefühl. So hob ich die Gabel und schob mein erstes Stück Nusstorte in den Mund. Zu Nusstorten habe ich ein spezielles Verhältnis, denn mit jedem Stück Nusstorte werden immer wieder Erinnerungen an meine Jugendzeit geweckt. Zumindest findet eine Art Wettkampf statt. In meiner alten Heimatstadt gab es eine alteingesessene Konditorei. Im Angebot dieser Konditorei war eine Nusstorte, die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war. Vor einigen Jahren hat das Café für immer geschlossen, doch da war die Nusstorte im Dorf längst zur Legende geworden. Nun, die Nusstorte auf meinem Teller kam an das Original aus meiner Jugendzeit nicht heran. Sie schmeckte nach Likör und zu viel Buttercreme zwischen den Teigschichten.

Noch während ich die letzten Reste runterschluckte und gedanklich noch immer in der Vergangenheit weilte, riss mich der Mitläufer wieder in die Jetztzeit zurück: „Auf jeden Fall brachte ich die total verlauste und herrenlose Katze erst einmal zum Tierarzt. Um den Läusen auf den Pelz zu rücken, haben wir das Tier zuallererst geschoren. Irgendwann aber haben sich doch noch die Besitzer gemeldet, über den Tierarzt. Und die wollen mich jetzt vermöbeln …“

„Haben Sie die Katze denn immer noch?“

„Nein, vor einer Woche hat es auf neutralem Boden eine Katzenübergabe gegeben. Es ist nur so, dass ich den Kater auch gleich habe kastrieren lassen. Ich konnte ja nicht wissen, dass die Besitzer ein Zweiteinkommen mit der Zucht von Perserkatzen haben.“

Fotohinweis: DIETER BAUMANN LAUFEN Ein Herz für Tiere? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried hat wilden ÖKOSEX