DIE WIEDERENTDECKUNG EINER EINFÜHLSAMEN AGITATORIN : Frauen im Sturm der Zeit
BERLIN AUF BLÄTTERN
Maria Leitner ist heute weitgehend unbekannt, obschon sie in den zwanziger Jahren eine angesehene Autorin war. Sie musste 1933 aus Deutschland emigrieren, verstarb 1942, nach Jahren auf der Flucht, an Erschöpfung in Frankreich. Ihr einziger in Buchform publizierter Roman „Hotel Amerika“ von 1930 war da bereits wieder vergessen. Hatten also die Nazis es geschafft, eine Autorin zu vernichten und ihr Werk gleich mit?
Nein, denn Herausgeberinnen wie Helga Schwarz ist es zu verdanken, dass das Werk der Autorin und Journalistin Maria Leitner in den vergangenen Jahren wieder wahrgenommen werden konnte. Nun ist im Aviva Verlag, der sich ohnehin um die Wiederentdeckung vieler von den Nazis in die Vergessenheit gedrängter Autorinnen verdient gemacht hat, der Band „Mädchen mit drei Namen“ erschienen, der Roman „Elisabeth, ein Hitlermädchen“ wird folgen, beide werden herausgegeben von Helga und Wilfried Schwarz.
Leitner wurde 1892 in Ungarn geboren, schon früh entwickelte sie sich zur leidenschaftlichen Kommunistin. Die in „Mädchen mit drei Namen“ versammelten Reportage sowie die Porträtserie „Frauen im Sturm der Zeit“ zeigen eine mondäne Frau, die gesellschaftliche Konflikte sehr genau beobachtet. Ihre Frauenporträts sind, obschon nur zwei, drei Buchseiten lang, sehr eindrucksvoll und nicht klischeehaft, eine Reportage über den „Krug des Hitler-Dorfes“ von 1932 zeigt zudem eine engagierte Antifaschistin, die ihre politischen Gegner kennen will. Leitner sieht recht früh, warum die Nazis so erfolgreich sind, und nimmt die Sorgen jener, die sie wählen, ernst.
In dem kleinen Berlin-Roman „Mädchen mit drei Namen“ schließlich, der als Fortsetzungsroman erschien, erweist sie sich als eine einfühlsame Agitatorin. Ihre Heldin Lina flieht aus der Armut in Cottbus nach Berlin, doch im Großstadtdschungel geht sie beinahe unter. Sie wird Tänzerin, Barfrau, ist kurz davor, sich prostituieren zu müssen, und wird schließlich ein Opfer der Fürsorge, die sie in Heime steckt, in denen Mädchen ausgebeutet werden. Die zunächst sehr naive Lina jedoch wächst in jedem Kapitel, bis sie schließlich zu einer selbstbewussten Frau wird. Nicht zuletzt dank eines Freundes namens Franz überwindet sie ihre falsche Scham. Franz führt aus: „Du sollst die Fehler in dir selbst suchen und nicht in der Welt, die dich umgibt, nicht in der Gesellschaft, die dich zu einem solchen Leben zwingt. Das ist der Zweck der Übung. Du sollst Buße tun, die Augen niederschlagen und die Welt um dich nicht sehen.“ Doch Franz ist noch nicht am Ende seiner Ausführungen angelangt. Er zieht die Konsequenz: „Denn, wenn du nicht in dir selbst die Fehler suchen wirst, sondern in der Welt, die dich umgibt, dann, so befürchten sie, wirst du erst einmal diese Welt verändern wollen. In dieser neuen Welt werden wir uns alle schon selbst verändern.“
Diese Worte gelten auch heute noch, 80 Jahre später, da die Menschen noch immer denken, sie können gesellschaftlichen Problemen aus dem Weg gehen, indem sie sich schuldig fühlen. Mit dem Mädchen Lina aber bringt Leitner zugleich ihre Leserinnen und Leser zur Vernunft – sie agitiert wie gesagt erfolgreich.
■ Maria Leitner: „Mädchen mit drei Namen“. Aviva Verlag, Berlin 2013, 224 Seiten, 15,90 Euro
■ Jörg Sundermeier ist Verleger des Verbrecher Verlags