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Archiv-Artikel

DIE UNION STEHT NICHT WIRKLICH HINTER DEM HERZOG-KONZEPT Taktische Geschlossenheit

Die konservative Revolutionärin darf sich ins Fäustchen lachen. Da hat sich Angela Merkel auf die Seite ihres Kommissionschefs Roman Herzog geschlagen und einem denkbar rabiaten Umbau des deutschen Sozialsystems das Wort geredet – doch der Widerspruch in der Union bleibt seltsam verhalten. Gewiss, Hermann-Josef Arentz und Horst Seehofer haben die Vorsitzende scharf attackiert. Aber das sind die Vorkämpfer des Arbeitnehmerflügels ihrem Ruf schon schuldig, und außer diesen beiden mochte sich kein einziger Unionspolitiker hervorwagen. Selbst Seehofers Parteichef Edmund Stoiber, der sich im bayerischen Wahlkampf gern zum Anwalt der kleinen Leute machte, verhielt sich übers Wochenende still.

Sind plötzlich alle Unionspolitiker von der Idee überzeugt, Kleinverdiener per Kopfprämie zur Kasse zu bitten? Keineswegs. Was Freund und Feind in der Partei für Merkels Linie einnimmt, ist das taktische Kalkül: Nur mit der Forderung nach sozialen Grausamkeiten kann es die Union schaffen, den Spaltpilz in die Reihen von Rot-Grün zu tragen. Bei der Gesundheitsreform war diese Methode höchst erfolgreich. Die Union setzte die Privatisierung des Zahnersatzes durch – und trieb damit die SPD-Abweichler auf die Barrikaden. Gelingen Merkel & Co. weitere Verhandlungserfolge dieser Art, könnte Schröders eigene Mehrheit bald dahin sein. Nach den jüngsten Rücktrittsdrohungen wäre dies das Ende von Rot-Grün.

Aber was käme danach? Die taktische Geschlossenheit in Sachen Herzog-Konzept macht die Union noch lange nicht regierungsfähig. Der Riss durch die Partei ist mindestens so breit wie bei den Sozialdemokraten. Käme es wirklich zum Schwur, die Reformen in eigener Verantwortung umzusetzen, würden die Flügel unweigerlich auseinander driften. Zumal das Kalkül, die SPD von rechts unter Druck zu setzen, spätestens bei den nächsten Wahlen an Grenzen stößt. Schließlich ist die Union in allen Wahlkämpfen seit 1998 der Versuchung erlegen, Rot-Grün zumindest rhetorisch in der Sozialpolitik links zu überholen. Nein, mehr als einen taktischen Punktsieg hat Merkel nicht errungen, wenn die Parteigremien dem Herzog-Konzept heute zustimmen. RALPH BOLLMANN