DIE UN-TRUPPE IM LIBANON BRAUCHT POLITISCHE UNTERSTÜTZUNG : Anspruch: unerfüllbar
Sechs Wochen nach Kriegsende haben gestern die letzten israelischen Soldaten den Südlibanon verlassen – aber es will sich kein Gefühl der Erleichterung einstellen. Warum auch? Israel behält sich ganz offen das Recht vor, jederzeit wieder im Nachbarstaat einzugreifen. Die territoriale Integrität des Libanons ist für die Führung der israelischen Armee weiterhin kein Thema: Sie hat öffentlich erklärt, dass sie weiterhin libanesischen Luftraum überfliegen und libanesische Gewässer patrouillieren will. Drei Dutzend Verletzungen des Luftraums haben die UN-Truppen seit Ausrufung des Waffenstillstands verzeichnet. Und auch die israelische Diskussion über den gescheiterten Feldzug gegen Hisbollah spricht eher für ein Folgekapitel.
Auf der anderen Seite steht eine Hisbollah, die nun eine neue Strategie sucht. Sie weiß, dass es kein Zurück mehr gibt zu der Zeit, als sie uneingeschränkt über den Süden herrschte. Gleichzeitig setzt sie ihr „Widerstandsimage“ in der arabischen Welt, als einzige den israelischen Truppen Einhalt geboten zu haben, unter Druck. Schon ist die Rede davon, dass sie ihre Luftabwehrkapazitäten ausbauen wolle, um Israels Armee demnächst auch am Himmel begegnen zu können.
Im Libanon gibt es derweil höchst unterschiedliche Interpretationen zum Kriegsergebnis. Die Schiiten und ein Teil der Christen unter Michel Aoun sprechen von einem großen Triumph. Der Rest der Bevölkerung und Aouns Gegenstück auf christlicher Seite, Samir Geagea, stehen dem Erstarken der Hisbollah mehr als skeptisch gegenüber. In dem Land, das 16 Jahre Bürgerkrieg hinter sich hat, bahnt sich eine gefährliche Spaltung an.
Und zwischen allen Fronten steht die Blauhelmtruppe: zahlreich und gut ausgerüstet, aber mit dem vagen Mandat, den Waffenstillstand zu beobachten und die libanesische Armee zu unterstützten. Israel erwartet, dass die Vereinten Nationen im Libanon den israelischen Polizisten spielen und zur Entwaffnung der Hisbollah beitragen. Vor allem die Libanesen im Süden erhoffen sich von der UN-Präsenz dagegen einen Schutz vor weiteren israelischen Feldzügen. Beides werden die Blauhelme ohne eine politische Initiative für die Region nicht leisten können. KARIM El-GAWHARY