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Archiv-Artikel

DIE TÜRKEI RISKIERT BEI DER ZOLLUNION VIEL, UM IN DIE EU ZU KOMMEN Erdogans Finessen

Früher wäre ein türkischer Ministerpräsident gestürzt worden, wenn er einen Vertrag unterschrieben hätte, der de facto die Regierung im griechischen Teil Zyperns anerkennt. Auch wenn Tayyip Erdogan und seine moderat islamistische AKP gleichzeitig in einer Deklaration nun genau diese Anerkennung ablehnen, ist die Türkei mit Nikosia eine wirtschaftliche Union eingegangen.

Ein Paradox, aber unvermeidlich. Schon als Erdogan seine Unterschrift unter Kofi Annans Friedensplan für Zypern setzte, wurde er zu Hause des Hochverrats beschuldigt. Er riskierte es, weil er vorhersah, dass die Griechen den Plan bei einem Referendum ablehnen würden. Schließlich kamen die griechischen Zyprioten auch ohne jedes Zugeständnis an die Türken in die EU. Erdogan galt seitdem als geschickter Verhandlungsführer.

Solange die Zypernfrage aber nicht gelöst ist, kann er darüber stolpern. Mehr noch als beim Annan-Plan hat er auch jetzt die Flucht nach vorne gewagt. Er hat seine Unterschrift unter ein Dokument gesetzt, das völkerrechtlich als Anerkennung des griechisch-zyprischen Staates gelesen werden kann. Letztlich hatte er keine andere Wahl, will er die EU-Beitrittsverhandlungen am 3. Oktober beginnen. Und: Erdogan braucht die EU, um zu Hause zu überleben.

Was dabei am Ende herauskommt, fragen sich indes immer mehr Türken. Eine Vollmitgliedschaft, Freizügigkeit für alle, ein Anspruch auf die Entwicklungsfonds? Es wird wohl auf eine „privilegierte Partnerschaft“ hinauslaufen. Das glauben mittlerweile sowohl weite Teile der türkischen Bevölkerung als auch Politik und Armee. Und so sinkt die EU-Begeisterung täglich.

Unter diesen Umständen Zypern „aus der Hand zu geben“, bedeutet trotz aller Finessen für den türkischen Regierungschef, Kopf und Kragen zu riskieren. Es wäre für ihn und alle Beteiligten gut, wenn bald eine politische Lösung auf Zypern gefunden würde. Denn eine „Übernahme“ der Insel durch die Griechen würde die politische Stabilität in der Türkei für eine sehr lange Zeit zerstören.

DILEK ZAPTCIOGLU