DIE STIMMEN DER ANDEREN :
■ Le Monde (Frankreich)
Europa muss sich der Roma annehmen
Frankreich ist nicht das einzige Land, das Roma ausweist. Andere tun es auch, Deutschland, Schweden und Italien. Denn die EU ist mit einem Problem konfrontiert, das sich nicht ignorieren lässt. Mit der Aufnahme von Rumänien und Bulgarien 2007 hat die EU die Umstände geerbt, unter denen die mehrere Millionen Roma in den Ländern leben: Sie werden als Paria behandelt, Bürger zweiter Klasse, sind Opfer von Rassismus und Gewalt. Da sie heute EU-Bürger sind, suchen sie ein besseres Leben in reicheren EU-Ländern. Vor den Toren französischer und italienischer Großstädte sind neue Elendsviertel entstanden. Die Weigerung, dies zu sehen, zeugt von Oberflächlichkeit und bessert das Schicksal der Roma nicht. Die EU muss einen Notfallplan haben und ihnen in erster Linie vor Ort helfen. Und Bukarest und Sofia müssen ihre Verantwortung wahrnehmen.
■ Libération (Frankreich)
Diese Regierung schürt das Misstrauen
Um zu rechtfertigen, dass die Rechte der Ausländer immer mehr beschnitten werden – und nun auch noch die der eingebürgerten Franzosen, was eine neue Diskriminierung darstellt –, stützt sich die Regierung auf Misstrauen, auf die Angst vor einer mythischen Invasion. Und die geradezu besessene Verteidigung einer nationalen Identität, die überhaupt nicht in Frage gestellt wird. Die Regierung stellt die Ausländer implizit als Bedrohung, wenn nicht gar als Feinde dar.
■ Tages-Anzeiger (Schweiz)
Wie Sarkozy sein Amt beschädigt
Nicolas Sarkozy bricht nicht nur mit dem Tabu: Er schürt die Ressentiments geradezu, vermengt ganz bewusst Immigration und Kriminalität, befeuert so das Misstrauen unter den vielen Gemeinschaften im Land, stigmatisiert einzelne von ihnen – die schwächste unter ihnen am meisten: die Roma. Er macht sie zu einfachen Sündenböcken. Wo eine ernsthafte, möglichst sachliche Diagnose der Lage nötig wäre, fördert er die Hysterie. Die Dringlichkeit der Roma-Frage erschließt sich nämlich nur ihm und seinen Beratern. Präsident Sarkozy entwürdigt so sein Amt und kratzt an der humanistischen Tradition seines Landes.
■ Hospodáské noviny (Tschechien)
Gefährliche Schuldzuweisungen
Die kapitalistische Gesellschaft produziert Gruppen, die am Rand leben und aus verschiedensten Gründen in existenzielle Not geraten. Die Vorstellung, dass die Obdachlosen, Roma, andere Sozialhilfeempfänger oder Langzeitarbeitslose an ihrer Armut selbst schuld sind, weil sie dumm und faul seien, ist stereotyp und gefährlich. Zumal dann, wenn sie Grundlage offizieller Politik wird.
■ Heti Világgazdaság (Ungarn)
Eine Herausforderung für Ungarn
Der jüngste Skandal um die Abschiebung von osteuropäischen Roma aus Frankreich bietet Ungarn als nächstem EU-Ratspräsidenten eine ideale Herausforderung: nämlich, die Verbesserung der Situation der Roma sowohl in Europa als auch in Ungarn voranzutreiben. Wenn es etwas gibt, das in die politische Strategie der ungarischen Regierungspartei Fidesz passt, dann dies.
■ Adevrul (Rumänien)
Die Mentalität der Roma verändern
Schon die rumänischen Kommunisten haben versucht, die Zigeuner, die mit ihrem Stamm von Ort zu Ort gezogen sind, zu kontrollieren. Sie haben geglaubt, dass sie Wohnungen am Rande der Dörfer bauen sollten. Doch waren sie überrascht, als sie sahen, dass die Zigeuner in Zelten schliefen und ihre Pferde in den Wohnungen hielten. Jetzt schicken die Franzosen sie in ihre Häuser zurück, die sie nicht haben, weil sie Nomaden sind, auch wenn sie sich mit dem Flugzeug fortbewegen und nicht mehr mit dem Planwagen. Und hier besteht die große Herausforderung für Frankreich und Europa: die Mentalität einer Ethnie zu verändern, die in einer modernen Welt lebt, jedoch nach sozialen Regeln, die hunderte oder gar tausende Jahre alt sind.
Quellen: NZZ, AFP, dpa, Eurotopics Foto: reuters