DIE OPERATION DER SIAMESISCHEN ZWILLINGE WAR FALSCH : Köpfe auf des Messers Schneide
Sie haben gemeinsam gelebt und sind gemeinsam gestorben. Am 8. Juli verbluteten wenige Stunden nacheinander die siamesischen Zwillinge Ladan und Laleh Bijani auf dem OP-Tisch. In einem auf mehr als 48 Stunden geplanten Eingriff sollten die beiden 29-jährigen Iranerinnen in Singapur voneinander getrennt werden.
Die Vorbereitung für die „Operation Hoffnung“ erinnerte an eine exakt geplante Militäraktion. 28 Spezialisten und 100 Assistenten waren im Einsatz. Generalstabsmäßig wurden die Medien über den Fortgang des Marathoneingriffs informiert. Doch alles nützte nichts. Die Blutgefäße, die einen Teil beider Gehirne versorgt hatten, ließen sich nicht ersetzen, so dass es zum tödlichen Kreislaufkollaps kam.
Schwer zu sagen, was mehr schockiert: Die Hybris einer Medizin, die sich – obwohl für keine der Frauen eine Bedrohung bestand – an eine Operation wagt, deren Chance selbst von Optimisten nur mit 50:50 angegeben wurde? Oder das Schicksal der Schwestern, die sich körperlich so nah und charakterlich so fern waren? Vielleicht ist es die Monstrosität des Eingriffs, bei dem schneidige Chirurgen einer Privatklinik darüber entschieden, welches Stück Gehirn Ladan und welches Laleh zufallen und wer das gemeinsame Blutgefäß behalten sollte. Ein paar graue Zellen hier, etwas mehr Hirnhaut da? Man möchte sich die anatomischen Details nicht ausmalen.
Mag sein, dass die ewige Verbundenheit für Ladan und Laleh ein schlimmeres Schicksal bedeutete als der Tod. Dennoch hat die Medizin hier eine fragwürdige Rolle gespielt. Deutsche Chirurgen hatten die Operation vor Jahren abgelehnt, weil sie ihnen zu riskant erschien. Die Ärzte in Singapur hingegen erklärten sich zu dem Eingriff bereit, obwohl es kaum Erfahrungen damit gibt. Die ethischen Fundamente ihrer Dienstleistung sind mehr als brüchig. Wenn das Risiko so hoch ist, dass schwere Komplikationen auftreten, muss jeder Arzt von einer Operation abraten.
Das Wohl ihrer Patientinnen kann nicht das wichtigste Motiv dieser Mediziner gewesen sein. Denn Laleh und Ladan waren nicht sterbenskrank. Sie hatten mit einem Handikap zu leben, sogar mit einem sehr schweren. Niemand kann nachvollziehen, wie es ist, lebenslang miteinander verwachsen zu sein. Doch selbst dies rechtfertigt es nicht, dass Hasardeure mit Skalpell Patienten jeden Wunsch erfüllen.
Zudem bringt die Vabanque-Operation keinen Durchbruch für die Medizin – man kann hier beim besten Willen nicht von einer notwendigen Grenzüberschreitung sprechen. Der Preis war von Anfang an zu hoch. Manchmal gehört es auch zur Aufgabe von Ärzten, Patienten vor sich selbst zu schützen. WERNER BARTENS
Der Autor ist Arzt und Redakteur der „Badischen Zeitung“.Kürzlich erschien sein Buch: „Was hab ich bloß? Die bestenKrankheiten der Welt“ (Droemer).