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Archiv-Artikel

DIE KIRCHEN WERDEN DIE FRIEDENSBEWEGUNG NICHT LANGE ANFÜHREN Proteste zweckfreier Autoritäten

Das Wort Jesu von der Gewalt überwindenden Liebe zum Feind gibt es seit 2.000 Jahren. Dennoch hat die Kirche fast seit ebenso langer Zeit Feldzüge geduldet, Gewalt legitimiert und selbst Kriege geführt. Seit dem Zweiten Weltkrieg aber ist den Kirchen hierzulande eher der Pazifismus nahe – und dass sie bei der nun erwachenden Friedensbewegung gegen den drohenden Irakkrieg so aktiv sind und die Antikriegsproteste zu prägen beginnen, ist neu.

So deutliche Worte gegen den Krieg wie Kardinal Lehmann und sein evangelisches Pendant, Präses Kock, finden in Deutschland derzeit nur wenige Persönlichkeiten mit politisch-gesellschaftlichem Einfluss. Die Evangelische Kirche von Berlin-Brandenburg ruft ihre Mitglieder auf, bei Aktionen der Friedensbewegung mitzumachen, der Trierer Bischof Marx appelliert an die Christen, sich „an die Spitze einer neuen Bewegung für den Frieden“ zu setzen. Und da ist auch noch der Papst, den in dieser Frage selbst die PDS klasse findet.

Nun haben die Kirchen auch in der Friedensbewegung der Achtzigerjahre, im Kuwait- und Kosovokrieg nicht geschwiegen. Ihre Position aber war weitaus weicher. Warum finden sie heute klarere Worte? Täte es ihnen und der Friedensbewegung gut, wenn sie die Speerspitze der heutigen Proteste würden? Und ist ihr Engagement voraussichtlich von Erfolg für die Sache des Friedens gekrönt?

Zunächst fällt heute den Kirchen ein klares Wort gegen den Krieg leichter, weil seine Begründung so überaus schwach ist, sein Verlauf besonders blutig zu werden droht und die Folgen „unabsehbar“ (Kardinal Lehmann) wären. Zudem ist die Rolle der Kirchen derzeit so bedeutend, da keine andere Massenorganisation mit ähnlicher moralischer, zweckfreier Autorität die Proteste stützt.

Wie nach dem 11. September 2001 füllen die damals vollen Kirchen eine Lücke für die vielen, die sonst mit ihrer Angst und Empörung allein blieben. Dies schadet weder diesen Menschen, die nicht befürchten müssen, dabei missioniert zu werden, noch den Kirchen, die tun, was ihre Aufgabe ist: Frieden zu stiften, Trost zu spenden.

Die Kirchen werden zudem wohl nicht lange ganz vorn in der Bewegung stehen: Dafür ist sie zu heterogen, viele Bundesgenossen der Kirchen zu glaubens- oder kirchenfern. Auch die Widersprüche innerhalb der Kirchen werden aufbrechen, wenn es doch einen Krieg mit sauberem UN-Mandat geben sollte. Schließlich ist kaum zu erwarten, dass Kirchenproteste in Europa die Weltmacht USA beeindrucken – das könnten bestenfalls die dortigen Kirchen. PHILIPP GESSLER