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Archiv-Artikel

DIE INVESTIVLOHNDEBATTE GEHT AN DEN MEISTEN ARBEITNEHMERN VORBEI Inflation der kurzlebigen Vorschläge

Nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Politik gibt es eine Inflationsrate. In der Debatte über Lohnformen etwa jagt derzeit ein Vorschlag den anderen: Kombilohn, Mindestlohn, Investivlohn, höherer Tariflohn – so oberflächlich und kurzlebig waren die Vorschläge noch nie. Das ist bedauerlich. Denn tatsächlich ereignen sich auf dem Jobmarkt gravierende Veränderungen, die nur leider mit Kombi- und Investivlohndebatten nichts zu tun haben.

Im Gegenteil: Wie weit der Arbeitsmarkt und das politische Vorschlagswesen auseinanderklaffen, zeigt das Beispiel Investivlohn. Nach diesem Modell erwerben Arbeitnehmer – als Bestandteil ihres Lohns – Beteiligungen an den Unternehmen, bei denen sie beschäftigt sind. Auf einem Jobmarkt, auf dem sonst immer die Flexibilität und damit der Firmenwechsel propagiert werden, wirkt diese Idee, die nun von Union und SPD aufgewärmt wird, unpassend. Zudem boomt derzeit die Leiharbeit mehr als alles andere. Diese Beschäftigungsform zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass die ArbeitnehmerInnen bei den Zeitarbeitsfirmen oft nur kurze Zeit angestellt sind.

Die aktuellen Vorschläge haben daher kaum Aussichten, jemals bis zur Lebenswelt der Menschen vorzudringen. Wirklich eingreifen würde die große Koalition mit einem gesetzlichen Mindestlohn, der etwa Stundenentgelte von fünf, sechs Euro verbietet. Doch der wird mit dieser Regierung nicht kommen. Stattdessen bedient die Politik lieber Stimmungen, auch weihnachtliche. Da passt es dann, dass SPD-Chef Kurt Beck und Vizekanzler Franz Müntefering pünktlich zur Weihnachtszeit höhere Löhne fordern. Aushandeln müssen diese Entgelte schließlich die Gewerkschaften.

Die Lohnformdebatte transportiert jedoch nicht nur Stimmungen, sondern auch Menschenbilder: Nachdem es noch vor kurzem um die Unterschicht ging, die sich angeblich mit Hartz IV plus Zuverdienst einrichtete, ist jetzt der Arbeitnehmer im Kommen, der sich mit seiner Firma identifiziert und daher einen Investivlohn mitträgt.

Mit der Wirklichkeit hat das leider nur wenig zu tun. Die Erwerbstätigen erleben jeden Tag die realen Risse, die sich zwischen Selbstständigen, Festangestellten, befristet Beschäftigten, Zeitarbeitern, Minijobbern, Praktikanten und Jobsuchenden auftun. Kann sich die Politik leisten, auf diese Verwerfungen kaum noch einzugehen und fast nur noch auf der symbolischen Ebene zu agieren? Das ist die eigentlich drängende Frage an die Beschäftigungspolitik der großen Koalition. Die gegenwärtige Lohnformdebatte gibt eine traurige Antwort.

BARBARA DRIBBUSCH