DIE GEWERKSCHAFTEN KÖNNEN BEIM SPITZENGESPÄCH NUR VERLIEREN : Bosse brauchen keine Argumente
Heute trifft sich der Bundeskanzler mit Gewerkschaftern und Arbeitgebern zu einem „Spitzengespräch“, das vorerst nicht Bündnis für Arbeit heißen darf. Das nennt man Begriffspolitik oder auch semantische Abrüstung: Ein Bündnis kann scheitern, wird leicht zu einem peinlichen Exbündnis. Ein Spitzengespräch hingegen floppt nie, so will es die Begriffslogik. Die inhärente Ankündigung ist eingelöst, sobald nur irgendwelche Chefs miteinander reden. Dennoch ist die Inszenierung des Spitzengesprächs nicht ungefährlich. Allerdings sind die Risiken sehr unterschiedlich verteilt.
Gar kein Risiko gehen die Arbeitgeber ein – sie können nur gewinnen. Falls die Verhandlungsrunde scheitern sollte, hatten sie trotzdem die Chance, ausgiebig zu drohen und zu klagen. Sie können Kanzler und Gewerkschaften mit der herrschenden Meinung erpressen. Und die lautet nun einmal: Kündigungsschutz und Flächentarifverträge kosten Jobs. Das wurde zwar nie bewiesen, aber das schadet den Bossen nicht. Von Arbeitgebern werden keine Belege verlangt, sie dürfen sich in Behauptungen ergehen.
Gefährlicher ist das Spitzengespräch für den Kanzler. Irgendein Miniergebnis muss sein Engagement erbringen. Ein Regierungschef, der nur redet, wirkt wie ein Grüßaugust. Doch scheint vorgesorgt, ein Kompromiss ist denkbar. Grob: Die Gewerkschaften bekommen das geforderte Konjunkturprogramm, das allerdings kaum 15 Milliarden Euro umfassen dürfte. Im Gegenzug wird der Kündigungsschutz um eine Abfindungsregelung ergänzt. Und die Arbeitgeber stellen ein paar zusätzliche Ausbildungsplätze.
Auch die Verlierer des Spitzengesprächs stehen schon fest: die Gewerkschaften. In der öffentlichen Wahrnehmung können sie gar nicht gewinnen. Sollten sie sich einem Kanzlervorschlag verweigern, würde ihnen allseits „Blockade“ vorgeworfen. Stimmen sie zu, dann werden sie getätschelt wie ein störrisches Kind, das endlich „Vernunft angenommen“ hat. Die Gewerkschaften sind in einer ewigen Defensive. Aber auch dies könnte mehr Begriffspolitik als Realität darstellen: Tatsächlich wäre jedes Konjunkturprogramm ein Erfolg für die Arbeitnehmer. ULRIKE HERRMANN