DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Das aktuelle Objekt
WAS SAGT UNS DAS? Schabowskis Zettel auf der Pressekonferenz vom 9. November 1989 ist jetzt im Westen angekommen. Was sagt uns das?
Ordentliche Leistung. Weder verknickt noch verwischt. Eng und krakelig beschrieben, auf einem „dünnen, gräulichen Blatt DDR-Papier“, wie uns dpa gestern depeschte, ist eine „Gelenkstelle der Weltgeschichte“ und jetzt für 25.000 Euro an das Bonner Haus der Geschichte verhökert worden.
Auf dem Scharnier, groß wie eine A4-Seite, hatte SED-Politbüromitglied Günter Schabowski weiland zwecks anstehender Pressekonferenz die Eckdaten für das notiert, was stante pede zur Öffnung der Mauer führte: eine Reiseregelung, nach der DDR-Bürger in den Westen fahren dürfen sollten.
Und nun ist just dieser Zettel seit gestern im tiefsten Westen namens Bonn zu bestaunen. Im Schaukasten! Als „aktuelles Objekt“! Kommen Sie! Staunen Sie! Brav hatte Schabowski auf jenes Blatt gekritzelt: „Noch Fragen. Erneut Bezug zu Reiseregelung. Schritt zu Normalität.“ Der Schritt kam dann holterdiepolter, denn der Funktionär wusste nicht, was er mit den Kulinotizen sollte. Die Politbüro-Konferenz davor hatte er geschwänzt. So stotterte er die Historie ausdünstenden Worte: „Das trifft … nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Die Massen strömten zur Mauer. Und Schabowski? Der schenkte den Zettel 1991 einem Bekannten.
„Hier zeigt sich, was alles in einem Zettel stecken kann“, formulierte gestern ehrfürchtig der Sammlungsdirektor des Hauses der Geschichte, Dietmar Preißler. Urst schau, dass dieses historische Gelenk aus der Zone geschafft wurde, wo es einst herkam. Zettel, go west! HWO