DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Sieg Meese!
WAS SAGT UNS DAS? Der Künstler Jonathan Meese wurde vom Kasseler Gericht freigesprochen – und darf weiterhin geschmacklos bleiben
Die Diktatur der Kunst hat obsiegt. Jedenfalls die, die der Künstler Jonathan Meese als art in progress schon seit Jahren ausruft und in der er den Hitlergruß zeigt, vom Prof. Dr. Erzchefarzt spricht, in der Pop, Politik, Trash, Religion und Fashion in absolut unhierarchischer Weise zusammenkommen und sich so Yves Saint Laurent neben Hitler und Mi|ckymaus wiederfindet.
Warum Meese bei seinen Auftritten immer wieder den Obererzschurken des 20. Jahrhunderts ins Spiel bringt, ist nicht so leicht zu sagen.
Aus der bösen, nicht weiter begründeten, puren Lust an der Provokation? Oder etwas didaktischer: zum Zweck der Irritation und Verunsicherung des Kunstpublikums? Als eine Art Reality Check unseres Erinnerungsvermögens? Und unserer entsprechenden Reflexe? Worum geht es da noch mal? Und müssen wir jetzt nicht sofort total schockiert sein?
Noch schwerer als Meeses Gedankengänge sind allerdings die des Kasseler Staatsanwalts zu ergründen, der dem Künstler unterstellte, „den Hitlergruß wieder salonfähig machen“ zu wollen. Die Vorsitzende Richterin am Amtsgericht Kassel war sich im Gegenteil dazu sicher, „dass der Angeklagte sich nicht mit nationalsozialistischen Symbolen oder Hitler identifiziert, sondern das Ganze eher verspottet“. Freispruch. Meese durfte den per se strafbewehrten Hitlergruß zeigen, seine Geste diente dem privilegierten Zweck der Kunst.
In seinem Schlusswort als Angeklagter sagte der Künstler: „Ich bin geschmacklos und habe das Recht dazu.“ Darum, ihm dieses Recht streitig zu machen, schien es in den Diskussionen zum Rechtsstreit oft mehr als um den „Deutschen Gruß“. Da wurde Geschmacklosigkeit schnell einmal mit „intellektuell mangelhafter Leistung“ gleichgesetzt, die es doch in Wahrheit vor den Kadi zu ziehen gelte, wie Der Freitag meinte. Gut, nein, sehr gut, dass die Justiz da größere gedankliche Sorgfalt walten lässt und den Freiraum der Kunst so großzügig wie nur denkbar bemisst.
BRIGITTE WERNEBURG