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DIE FÜNFTE GEWALT — WEGE DURCH DEN MEDIENDSCHUNGEL Von Ben Vart

Den schönsten Einstieg in das periodisch Gedruckte bieten die Leserbriefspalten — oder Surrogate wie jene der Satirezeitschrift Titanic, die allmonatlich „Briefe an die Leser“ zwischen köstlich und kotzig schreibt. Oder jene Zeilen des humorigeren Ost-Pendants Eulenspiegel, in dem, gleich vorne, Platz für das Wort des Lesers eingeräumt wird — ohne, daß er dann schon das letzte hat. Überhaupt: Zeitungen und Illustrierte haben immer die Leser, die sie verdienen. Auch auf einen Blick. Bei dem Billigblatt darf beispielsweise ein Werner Fuchs aus Mühlhausen sein Mißfallen an einem dezembrigen ARD-Beitrag („Kulturreport — Sex in der Kunst“) äußern: „Der verheerende Sittenverfall läßt einen schaudern.“ Darauf läßt der moderne Unchrist gerne einen fahren. „Wir sollten dagegen Sturm laufen. Dieser Verfall von Sitte und Moral war der Anfang vom Ende von Sodom und Gomorrha, war der Anfang vom Ende Pompejis...“ — bekanntermaßen konnten die Bewohner auch nicht von den ständigen Massen-Kopulationen lassen, als der Vesuv seinen Erguß hatte — „... war der Anfang vom Ende des Römerreiches u.a.m.“ Hier erklärt endlich mal einer nachvollziehbar und anschaulich, warum die Sowjetunion und Jugoslawien auseinanderfallen. Und jetzt kommen auch die Erinnerungen an tägliche ZK-Orgien auf dem Roten Platz wieder hoch, vorneweg Breschnew mit seinem Leonid. Tito soll, so erinnern wir uns jetzt schon präziser, die Urlauberinnen an der Adria-Küste mehrmals täglich angebaggert haben. Aber nie Serbinnen. Das hat er jetzt davon.

Dabei wollen die Weiber das doch, weiß auch die teutonische Ausgabe von Esquire — und entlarvt in einer Aufsehen und auch sonst erregenden Titelgeschichte „Die Grapsch-Lüge“: „Frauen sind hilflos. Frauen sind Objekte. Frauen sind Opfer... Das sagen die Frauen. Und sagen es immer wieder. Immer lauter. Immer aggressiver. Bis auch die Männer unsicher werden.“ Dabei ist Unsicherheit doch eigentlich eine Domäne der Frauen: „Frauen sorgen beim Flirt für Mißverständnisse — denn sie wissen nicht, was sie wollen.“ Zwar suggeriert die Überschrift „Schau mir in den Ausschnitt, Kleiner!“ eigentlich Gegenteiliges, aber der Hinweis auf Unlogik (eine weibliche Hochburg) kann nur von schwächlichen Männern stammen. Denn die Haltung von Chefredakteur Rolf Diekhof macht der durch weitere Headlines schon klar: „Die Frauen sind selbst schuld.“ Weil sie mit ihren erotischen Signalen bei den Männern Mißverständnisse auslösen. Der Autor des Machwerks heißt übrigens Uli Dönch. Und solche schwachsinnigen Beiträge „Dönches“.

Nur kurz das Wichtigste: Georgia Tornow, bis vor kurzem taz-Chefin (mieser Einheitslohn) und jetzt in der Chefredaktion der 'Berliner Zeitung‘ (unter fünfstellig im Monat würde wundern), weiß sich ihr Salär auch anderweitig aufzubessern. In Country — Die Lust, auf dem Lande zu leben erzählt sie, zwischen dem Woll-Special („Die irische Wollindustrie hat eine lange Tradition“) und der ergreifenden Reportage über Hausschlachtungen („Den Pfälzern schmeckt die Wurst am besten von der eigenen Sau“), über die richtige Streitkultur: „In der gesunden Landluft dagegen gedeiht Streit prächtig.“ Aber nur am prasselnden Kamin eines gutbürgerlichen Landsitzes.

Steinbach entnervt: So, wie es sich seit Jahrhunderten frommt und front.

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