piwik no script img

Archiv-Artikel

DIE DIENSTLEISTUNGSRICHTLINIE DER EU VERFEHLT IHREN ZWECK Im Zweifel für die Ausnahme

Die Liste der Ausnahmen bei der jetzt beschlossenen Dienstleistungsrichtlinie ist länger als die Liste der beabsichtigten Regelungen. Grünen und vielen Sozialisten reicht das noch nicht einmal. Sie möchten eine Positivliste: Nur für Dienstleistungen, die auf dieser Liste stehen, soll das als „Bolkestein-Richtlinie“ in Misskredit geratene Prinzip gelten. Doch wenn man ein Gesetz politisch als so problematisch einschätzt, dass man es nur in Ausnahmefällen zur Anwendung bringen will, sollte man es besser ganz streichen. Sonst gewinnt man nur zusätzlichen Papierkram und zusätzliche Rechtsunsicherheit.

Die ursprüngliche Idee der Dienstleistungsrichtlinie war, die Wachstumsreserven im Dienstleistungssektor zu mobilisieren und mehr Jobs zu schaffen. Für mittelständische Anbieter sollten europaweit gleiche Rahmenbedingungen und einfachere Prozeduren entstehen. Das undurchsichtige Kompetenz- und Formalitätengewirr sollte in jedem Land durch eine zentrale Stelle beseitigt werden. Zwischen den Anlaufstellen sollten Informationen rasch ausgetauscht werden können. Nur wenn zum Beispiel nachgeprüft werden kann, ob ein Konkurrent seinen im Ausland erzielten Erlös zu Hause auch versteuert, entstehen faire Wettbewerbsbedingungen.

Doch für die Wähler ist Liberalisierung zum Synonym für Sozialdumping geworden. Es lässt sich derzeit nicht vermitteln, dass weder das Arbeitsrecht noch der Gesundheitsbereich von der Richtlinie berührt werden. Würde Deutschland wie andere EU-Länder Mindestlöhne einführen, dürften die von niemandem unterlaufen werden – mit oder ohne Dienstleistungsrichtlinie. Das Herkunftslandprinzip, das die Gemüter erregt, ist in vielen Bereichen längst Gesetz. Audiovisuelle Inhalte etwa sind von der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen. Doch in der seit 1989 geltenden Fernsehrichtlinie steht, dass Sendungen dem Recht des herstellenden Landes entsprechen müssen. Damit wird ein europäischer Fernsehsektor überhaupt erst möglich. Für andere Dienstleistungen gilt diese Logik ebenso. DANIELA WEINGÄRTNER