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Archiv-Artikel

DIE DEUTSCH-POLNISCHE FREUNDSCHAFT WIRD KACZYŃSKI ÜBERDAUERN Offene Freude über die Krise in Warschau

Wem die polnisch-deutschen Beziehungen am Herzen liegen, der wird die Nachricht von der Krise der Regierung Jarosław Kaczyńskis nicht mit klammheimlicher, sondern mit offener Freude zur Kenntnis nehmen. Doch Vorsicht! Noch ist es verfrüht, den Nationalisten und Reaktionären an der Macht das Sterbeglöckchen zu läuten. Denn der Versuch, die Bauern-Krawallisten in der Regierungskoalition zu spalten, ist nicht chancenlos. Gelingt er, so stünde einer Neuauflage des Dreiparteienbündnisses mit einer regierungstreuen Abspaltung und den Klerikalfaschisten der „Liga der polnischen Familien“ nichts im Wege. Neuwahlen allerdings müssen die Zwillinge Lech – der Staatspräsident – und Jarosław – der Regierungschef – fürchten. Denn außer Demagogie haben die beiden Kaczyńskis den Wählern nichts vorzuweisen.

Ihre allseitige Abgrenzungspolitik gegenüber Deutschland hat trotz ihrer kurzen Dauer bereits beträchtlichen Schaden angerichtet. Nach Kräften wurden die florierenden polnisch-deutschen Institutionen wie das Jugendwerk sabotiert, versprochene Gelder für die Universität Viadrina nicht ausgezahlt. In maßloser Übertreibung des Einflusses von Erika Steinbach und des Bundes der Vertriebenen wurde den Polen zu suggerieren versucht, „die Deutschen“ wollten die Geschichte umdrehen und sich von Tätern zu Opfern stilisieren. All dies geschah, um die Untätigkeit der Regierung bei den brennenden sozialen Problemen mit nationalistischem Pathos zu übertünchen.

Glücklicherweise haben sich die polnisch-deutschen Beziehungen im gesellschaftlichen Rahmen so stark gefestigt, haben zahlreiche bilaterale Initiativen so erfolgreich gearbeitet, haben sich Millionen Polen wie Deutsche ein realistisches Bild von den Stärken und Schwächen des Nachbarn verschafft, als dass die Abgrenzungsstrategie Kaczyńskis dauerhaft gesellschaftliche Wurzeln schlagen könnte. Zu einer Wiederbelebung von Stereotypen beiderseits von Oder und Neiße hat es allerdings schon gereicht. Aber da ist nichts, was sich nicht reparieren ließe. Falls es Neuwahlen gibt: Jede denkbare Konstellation wäre besser als die, die den Zwillingen weiter freie Hand bei ihrem Zerstörungswerk ließe. CHRISTIAN SEMLER