DIE DEMOKRATISCHE ENTWICKLUNG VENEZUELAS IST GEFÄHRDET : Bankrotterklärung der Opposition
Nach dem Wahlboykott der bürgerlichen Opposition lief alles wie nach Plan: Drei Viertel der VenezolanerInnen blieben zu Hause, und das kommende Parlament droht zur permanenten Akklamationsveranstaltung für Präsident Hugo Chávez zu verkommen. Der Verfassungsänderung, wonach der selbst ernannte „Sozialist des 21. Jahrhunderts“ künftig mehrfach wiedergewählt werden könnte, steht nun nichts mehr im Wege.
Letzteres wäre allerdings auch bei einer Beteiligung der Oppositionsparteien kaum zu verhindern gewesen. Denn während Chávez dank seiner Sozialprogramme unverändert populär ist, hat sich die venezolanische Rechte immer noch nicht von ihren Niederlagen erholt. Ihr Putsch 2002 brach nach 48 Stunden zusammen, letztes Jahr entschied der Staatschef ein Referendum über seine Abberufung klar für sich. Seither sind große Teile der Unternehmerschaft dazu übergegangen, sich mit Chávez zu arrangieren.
Programmatisch und personell hatten die zerstrittenen Chávez-Gegner schon lange nichts mehr zu bieten. Den sich abzeichnenden Offenbarungseid an den Urnen umgingen sie jetzt durch einen kurzfristig verkündeten Boykott mit fadenscheinigen Begründungen. Sie nehmen sogar das Risiko auf sich, in völliger Bedeutungslosigkeit zu versinken. Umgekehrt wird Hugo Chávez noch rascher als geplant seine Machtposition ausbauen. Unbequeme Stimmen werden immer leiser. Das scheint ganz im Sinne des sendungsbewussten Linksnationalisten zu liegen, doch für eine emanzipatorische, partizipative Entwicklung Venezuelas ist es Gift.
Durch die mutwillig betriebene Schwächung der repräsentativen Demokratie hat die venezolanische Rechte der US-Regierung in die Hände gespielt. Washington stört vor allem, dass Chávez durch seine geschickte Erdöldiplomatie seinen Einflussbereich in Lateinamerika ausbaut und die Politik George W. Bushs wie sonst kein anderer Staatschef analysiert und attackiert. Die US-Falken haben nun ein „Argument“ mehr, um Chávez’ „bolivarianische Revolution“ als undemokratisch zu geißeln. Und irgendwann könnte ein Machtwechsel in Venezuela nur noch auf gewaltsamem Wege vorstellbar sein. GERHARD DILGER