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Archiv-Artikel

DIE CDU/CSU WILL DEN UNTERSCHIED ZWISCHEN NS- UND SED-REGIME TILGEN Verharmlosung des Massenmords

Viele der noch lebenden Opfer des SED-Regimes haben Grund zur Klage. Ihr Schicksal wie allgemein die Geschichte der politischen Unterdrückung in der DDR findet heute nur wenig Aufmerksamkeit. Wenn nicht sogar die Misere des Vereinigungsprozesses dafür sorgte, das Bild des Realsozialismus nachträglich im milden Abendlicht erscheinen zu lassen. Es geht um Anerkennung.

Was allerdings die CDU/CSU-Fraktion gestern, am 17. Juni, unter dem Titel „Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland – Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen“ als Antrag eingebracht hat, dient diesem Ziel in keiner Weise. Der Antrag schürt die Konkurrenz von Opfergruppen. Er suggeriert, die Gedenkarbeit für die Opfer des SED-Regimes werde staatlicherseits nicht hinreichend gefördert. Und er setzt in geradezu monströser Weise die Nazi-Herrschaft mit der Herrschaft der Realsozialisten gleich.

Die CDU/CSU will den Bundestag Folgendes beschließen lassen: „Beide deutsche Diktaturen waren von einer Gewaltherrschaft geprägt, die sich in der systematischen Verfolgung und Unterdrückung ganzer Bevölkerungsgruppen manifestiert hat.“ Hier wird nicht nur ein völlig verfehltes Bild der Repression in den verschiedenen Etappen der DDR vom Terror der ersten Jahre bis zum sich zersetzenden Überwachungsstaat der Endzeit gezeichnet. Indem der Antrag im Zeichen „beider deutscher Diktaturen“ Verfolgung und Repression im Nazi-Deutschland und in der DDR in einem Satz zusammenfasst, tilgt er den kleinen Unterschied zwischen Massenmord und autoritärer politischer Unterdrückung. Oder wollen die Autoren des Antrags behaupten, die Realsozialisten hätten sich des Völkermords schuldig gemacht? An der vom Antrag vorgenommenen Gleichsetzung kann auch die salvatorische Klausel nichts ändern, wonach die Nazis „mit dem millionenfachen Mord an den Juden ein singuläres Verbrechen begingen, das immer ein spezielles Gedenken erfordern wird“. Vielen Dank auch für diese Sonderbehandlung!

CHRISTIAN SEMLER