piwik no script img

Archiv-Artikel

DIE ACHSE DES MIX VON TOBIAS RAPP

Köln für die Welt

Der große Hype um das Berliner Nachtleben und die angeschlossenen Produktionshäuser der dazugehörigen Musik der vergangenen zwei Jahre hat Köln ein wenig in den Schatten gedrängt. Darüber vergisst man leicht, wie wichtig das Kölner Kompakt-Imperium war und immer noch ist. Nicht nur, weil es mit seinem Vertrieb über eine gut funktionierende Infrastruktur verfügt – vor allem, weil die Definition von Minimal, die hier entwickelt wurde, so eine große Wirkungsmacht entfalten konnte. Diese Mischung aus reduziertem Design, Pop-Sensibility und gleichzeitig immer abrufbarem Rave-Sau-Potenzial, die in dem Londoner Superclub Fabric genauso gerne gesehen wird wie bei einer Veranstaltung des Magazins New Yorker.

Kein Mix hat diesen „Sound Of Cologne“ so präzise auf den Punkt gebracht wie Michael Mayers CD „Immer“ von 2002. Nun hat er den Nachfolger „Immer 2“ herausgebracht – ein nicht minder gelungenes Mix-Album, das sich allerdings schwer tun dürfte gegen den Druck, als Statement gehört und verstanden werden zu wollen. Einen eindeutig als solchen identifizierbaren Kölner Sound gibt es hier nicht. Mayer lässt seinen Mix aus tiefen After-Hour-Nebel von Ian Simmons „The Dog“ auftauchen, hebt ihn in die discofizierten Baleraren-Höhen von Lindstroms „Another Station“, um ihn im verspulten Gewühl von Geigers „Good Evening“ wieder zu versenken. Funktioniert wunderbar und überall.

Michael Mayer: „Immer 2“ (Kompakt/ Rough Trade)

Auf der Suche nach dem dritten Weg

Es sind vor allem zwei Spielarten elektronischer Tanzmusik, die Berlin in den letzten Jahren so nachhaltig auf die Landkarte der europäischen Easyjet-Raver geholt haben: der so genannte Minimal Sound, eine äußerst reduzierte House-Variante, in der gerne mit Polyrhthmen gearbeitet wird und wo es gerne zischelt und knirscht.

Und der so genannte Electro-House-Sound, eine kompakte und moderne Disco-Variante. Kaum jemand spielt letzteres so perfekt wie M.A.N.D.Y., ein DJ-Duo, das auch das Label Get Physical mitbetreibt. Für die „M.A.N.D.Y. At The Controls“-Doppel-CD bewegen sie sich nun allerdings in für sie sehr ungewöhnliches Gebiet: nicht nur, dass sie sich dem Zischeln des Minimal annähern. Sie versuchen auch, es mit einem ganz anderen Klanguniversum kurzzuschalten. Mit Nujazz und dem großen Cat Stevens nämlich.

Das funktioniert erstaunlich gut – und in Anbetracht der Tatsache, dass Produzenten wie die Berliner My My in dieser Gegend ebenfalls einen Weg in einen postminimalen Klangkosmos suchen, macht das auch Sinn. Ja, M.A.N.D.Y. geben auch Schub, wenn sie etwa ihren eigenen Remix des Klassikers „Push Push“ spielen. Doch wenn sie die ruhigen folkigen Stücke wie eben Stevens „Was Dog A Doughnut“ in Tracks wie Sensoramas „Where The Rabbit Sleeps“ oder Heartz 4 „Intimacy Girl“ übergehen lassen, klingt es, als hätte die akustische Gitarre nie in Widerspruch zum Housebeat gestanden.

„M.A.N.D.Y. At The Controls“ (Resist/Rough Trade)

Letzte Ausfahrt Chicago

Es gibt viele gute Gründe, Geschmacksstalinisten wie dem Pariser Cyril Etienne des Rosaies alias DJ Deep zu misstrauen. Ob es Northern Soul ist, Funk oder wie in DJ Deeps Fall House – meistens sind es weiße, europäische Jungs, die sich Erlösung von schwarzer, amerikanischer Musik versprechen; immer wird sich einer großen Vergangenheit versichert, die es angesichts einer mickrigen Gegenwart zu pflegen gilt.

Nimmt man DJ Deeps neue Mix-Compilation „City To City Part 2“ zur Hand, muss man allerdings fairerweise feststellen, dass es durchaus Grund zur Annahme gibt, dass er mit seinem House-Konservativismus Recht haben könnte. Deep lässt die Musik auf der Doppel-CD zwischen den House-Entwürfen von New York und Chicago hin und her schwingen, von den mittleren Achtzigern bis in die mittleren Neunziger, mit Schwenks nach Detroit. Zeitgenössischer House mag viele Qualitäten haben, aber diese einzigartige Spannung zwischen stumpfem Gewinninteresse und gleichzeitigem Glaube an die spirituelle Kraft der House Nation, wie sie etwa den fantastischen Chicago-House-Track „So Let It Be House“ von Mike Dunn aus dem Jahre 1988 antreibt, hat diese Musik heute verloren. Ein Drum-Computer, ein Bass-Synthesizer und eine Stimme, die Sätze sagt wie „On the first day of this groove/ music was set to make you move/ and you loved it“. Mehr braucht es nicht.

„DJ Deep Presents City To City Part 2“ (BBE/Rough Trade)