DEUTSCHLAND GEGEN, ÄH, FRANKREICH IM THÄLMANNPARK : Das Spiel geht los, das Bild ist weg
VON LEA STREISAND
Mir geht dieser ganze Quatsch echt so was von auf die Eier!“, sage ich zu meiner Freundin Nora. „Schlaaand!“, brüllt Nora und wedelt mit ihrer Blumenkette in Schwarz-Rot-Gelb. Wir sitzen vor der Leinwand am Planetarium im Ernst-Thälmann-Park. Also, „vor“ ist missverständlich ausgedrückt: Das Sonnensegel über der Leinwand ist zwischen den Hinterköpfen zu erahnen. Wir sitzen in der letzten Reihe. Zu behaupten, wir würden vom Spiel Deutschland gegen irgendwen irgendwas mitkriegen, wäre glatt gelogen.
„Gegen wen spielen die?“, frage ich Nora. „Den Erbfeind!“, sagt Paul. Immer, wenn es um Frankreich geht, kriegt er einen reaktionären Anfall. Er hat mir das schon mehrfach erklärt, aber ich vergesse es jedes Mal sofort wieder. Irgendwas mit Napoleon und Rotkäppchen, glaube ich. Die Freundin von Nora, die neben ihr sitzt, guckt irritiert. „Glaub dem kein Wort“, sage ich, „seine beste Freundin ist Französin.“ Noras Freundin sieht nicht beruhigt aus.
Ich habe Durst, Paul hat Bier mitgebracht. Immerhin kontrollieren sie nicht die Taschen am Eingang. Man muss 50 Cent bezahlen, dafür kriegt man einen bunten Aufkleber und darf Bier kaufen. Pipi machen kostet extra. Bei den Männern gibt es Pinkelrinnen.
Das Spiel geht los, das Bild ist weg. Die Heiterkeit ist allgemein. „Schiebung!“, brüllt Nora. Das Bild kommt wieder, ein paar Takte „Marseillaise“ sind zu hören, dann ist der Ton weg. „Mein erstes echtes Public Viewing!“ Ich kann kaum an mich halten. „Wusstet ihr, dass es Leichenschau heißt?“, frage ich. „Public Viewing heißt Leichenschau.“ „Ja“, sagt Nora, „wusste ich.“
Sie haben angefangen. Es flackert Grün. Unsere sind die Weißen. Das Pärchen vor uns hat schöne grüne Shirts an. Ihres hat Träger, die sind ihr zu lang. Er macht ein verkniffenes Gesicht bei dem Versuch, Knoten hineinzumachen. Wurstfingerfeinmotorik.
Die Familie vor uns hat sich Farbe ins Gesicht gemalt. Beim BH der Mutti hängt hinten der Zettel raus. 85 C. Zwei Reihen weiter hat einer sein T-Shirt ausgezogen und seine Nippel mit rotem Glitzer angemalt.
Wir könnten alle tanzen
Plötzlich stehen alle auf. „Tooor!“, ruft Nora. „Hast du was gesehen?“, frage ich. „Nee“, sagt Nora, „Ich mach einfach nur, was alle machen.“ – „Wir könnten alle tanzen“, sage ich, „Liebe machen, Revolution!“ – „Du könntest mal wieder die Küche aufräumen“, sagt Paul.
Jetzt habe ich Hunger. Die Freundin von Nora hat Stullen mitgebracht. Frischkäse-Tomatencreme, sehr lecker, reicht aber nicht für alle. Ich geh Pommes holen. 3,50 Euro. Bockwurst gibt es auch und Steak, die kosten nur 3 Euro. Ich gönne mir was. Bin schließlich dienstlich hier. Sie haben irgendwelche grünen Krümel auf die Pommes gestreut, könnte Oregano sein. „Hier“, sage ich zu Paul, „mit Ballaststoffe!“ Er kostet und nickt. „Und ohne Salz“, sagt er. Ich quetsche mir Ketschup auf die Gesundheitspommes, bis sie an das Ratatouille erinnern, das Nora und ich früher immer gekocht haben. Da wohnten wir noch zusammen.
„Scheiße!“, sage ich, als mir der Ketchup aufs Kleid tropft. „Gleich auswaschen!“, sagt die Freundin von Nora. „Taschentücher“, sagt Nora. „Soll ich es ablecken?“, sagt Paul. Er hat schon einen sitzen vor lauter Langeweile. Ich habe nicht mal Lust, mich zu betrinken. Irgendwann stehen wieder alle. „Was ’n los?“, fragen drei Jungs in Deutschlandtrikots, die hinter uns sitzen. „Fertig“, sage ich, „jetzt können wir tanzen.“
Heimmannschaft: Bunt gemischt, vorwiegend deutsch.
Gästeblock: Die Barleute sprechen alle mit Akzent, Stimmung angenehm unverkrampft.
Stadionimbiss: Pommes, Steak, Bockwurst.
Ersatzbank: Jeder Kiosk am Helmholtzplatz hat einen Fernseher, auf dem man mehr sehen kann.
Rote Karte: Leute, die sich wirklich für Fußball interessieren.