DEUTSCHE ALS GASTARBEITER IN ÖSTERREICH: VIEL PSYCHOLOGIE IM SPIEL : Alpen statt Hartz
Den Schreckensberichten über Auswirkungen der Hartz-IV-Reformen hat der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eine – sagen wir einmal: exzentrische – Variante hinzugefügt: Wegen Hartz IV steige jetzt auch in Österreich die Arbeitslosigkeit, da die Deutschen auf den Arbeitsmarkt drängen, um dann hierzulande Arbeitslosenunterstützung zu bekommen. Nun ist die Deutung, dass viele Deutsche als Arbeitnehmer nach Österreich drängen, um arbeitslos zu werden, absurd. Aber wahr ist: Österreichs Arbeitsmarktdaten sind deutlich besser als die Deutschlands. Seit dem Amtsantritt der Regierung Schüssel vor fünf Jahren und der Übernahme des neoliberalen Mantras aus Steuersenkung und Haushaltskonsolidierung stürzten zwar auch in der Alpenrepublik Wachstum und Beschäftigung ab. Dennoch gibt es eine deutsche Arbeitsmigration nach Österreich. Deutsche sind heute das, was einst in der Asyldebatte unschön „Wirtschaftsflüchtlinge“ hieß.
Zehntausende junge Frauen und Männer aus Cottbus, Halle und Hoyerswerda packen ihr Zeug und ziehen in die österreichischen Tourismusgebiete, um hier eine Saison als billige Serviererinnen, Friseusen oder Animatoren zu arbeiten. Sie haben in etwa die gesellschaftliche Stellung wie die polnischen Klempner und die slowakischen Putzfrauen. Für die Österreicher, nationalkulturell mit einem Minderwertigkeitskomplex gegenüber den „verfreundeten Nachbarn“ (so lautete vor zehn Jahren ein Buch über das schwierige Verhältnis) ausgestattet, ist das ein Glückserlebnis, vergleichbar mit dem legendären 3:2-Sieg der Nationalelf bei der Weltmeisterschaft in Cordoba 1978. Für die Deutschen, für die mindestens seit den Fünfzigerjahren Österreich ein zurückgebliebenes Zielland für Billigtourismus war, ist es im Gegenzug eine narzisstische Kränkung. Darum wird dies- wie jenseits der Grenze so viel Aufhebens um den neuen Gastarbeiterstrom gemacht. Über den Umstand, dass die Auswanderer aus dem Osten kommen und gerade nicht die Kinder der westdeutschen Wirtschaftswunder-Welt sind, wird der Einfachheit halber hinweggesehen. ROBERT MISIK