DER VORSITZENDE DER BERLINER OBERSTUDIENDIREKTOREN WARNT DAVOR, DASS SEKUNDARSCHULEN ERSTER UND ZWEITER KLASSE ENTSTEHEN : „Jede Schulart muss der anderen ihren Erfolg gönnen“
VON CHRISTIAN FÜLLER
taz: Herr Treptow, bald müssen Eltern von Sechstklässlern wieder infrage kommende weiterführende Schulen wählen. Droht den Gymnasien dann, dass die Sekundarschulen sie überflügeln?
Ralf Treptow: Diese Frage stellt sich für die Schulleiter der Gymnasien gar nicht. Auch mit einer geringeren Übergangsquote als bisher hätten wir kein Problem. Wir wissen, wie stark die Berliner Gymnasien sind. Wir stehen hinter dem zweigliedrigen System von Gymnasien und Sekundarschulen. In diesem System muss aber jede Schulart der anderen ihren Erfolg gönnen.
Also haben Sie doch Angst, dass Ihnen die guten Sekundarschulen den Rang ablaufen?
Nein. Wir haben uns ja auch nie darüber beschwert, dass der Senat die Sekundarschulen besser ausstattet, etwa dadurch, dass kleinere Klassen im Vergleich zu den Gymnasien gebildet werden. Es könnten übrigens in beiden Schulformen ruhig mindestens noch zwei Schüler weniger pro Klasse sein. Wir müssen nur aufpassen, dass das System nicht ad absurdum geführt wird.
Wie soll denn das passieren?
Das zweigliedrige System muss sicherstellen, dass alle integrierten Sekundarschulen offen stehen für die ganze Spannweite der Heterogenität an Schülern. Es ist ein Erfolg, wenn dann von allen Schülern, die eine Sekundarschule besuchen, dauerhaft mehr als ein Viertel zum Abitur geführt werden. Die Gymnasien dagegen wollen jeden Schüler, der die Probezeit bestanden hat, zum Abitur führen.
Was ist daran so schrecklich, wenn der Notenschnitt an beliebten Sekundarschulen sich dem der Gymnasien annähert?
Wir haben im System ein Problem, wenn die prinzipiell bessere Ausstattung der Sekundarschulen nicht für das eigentliche Ziel genutzt wird: breite Heterogenität an allen – ich betone: allen – Sekundarschulen. Fragen Sie mal bei den Sekundarschulen nach, die vor allem die an anderen Sekundarschulen nicht Aufgenommenen zugewiesen bekommen! Die sehen diese Entwicklung sehr, sehr kritisch.
Geben Sie uns, bitte, eine Lösung des Problems?
Zum Beispiel könnten übernachgefragte Sekundarschulen die 60 Prozent der Plätze, die nach schulinternen Kriterien vergeben werden können, zu je einem Drittel an Bewerber mit einer Eins, mit einer Zwei und mit einer Drei vor dem Komma vergeben. Grundsätzlich gilt meines Erachtens: Im Zweisäulenmodell muss die Aufnahme im Falle der Übernachfrage für die Gymnasien und die Sekundarschulen prinzipiell anders geregelt werden.
Pardon, Sie halten den Notenschnitt hoch wie eine Monstranz.
Das mache nicht ich, sondern die Vorschrift für die Schulwahl. Sie sieht die Durchschnittsnote der Förderprognose als eines von vier möglichen Kriterien für die Aufnahme im Fall der Übernachfrage vor. An meiner Schule zählt die Durchschnittsnote übrigens nur zu einem Viertel.
Die Eltern von Sechstklässlern suchen händeringend Ratschläge. Haben Sie welche?
Erstens: Wählen Sie den für ihr Kind geeigneten Schultyp. Zweitens: Setzen Sie die eigentlich gewünschte Schule für Ihr Kind auch als Erstwunsch! Drittens: Wählen Sie Zweit- und Drittwunsch ganz genau aus. Vermeiden Sie dabei, hierfür Schulen zu wählen, die in den letzten Jahren immer stark übernachgefragt waren.
■ Ralf Treptow, 52, leitet das Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Pankow. Der Mathematiker ist außerdem streitbarer Vorsitzender der Vereinigung Berliner Oberstudiendirektoren, also Chef der Leiter der Gymnasien.