DER STREIK GEGEN DIE ARBEITSZEITVERLÄNGERUNG IST DEFENSIV : Eigene Maßstäbe setzen
Ob eine politische Aktion wirkt, ist eine Frage der öffentlichen Wahrnehmung. Arbeitskämpfe sind dabei besonders heikel: Kommt der Streik als zeitgemäß herüber? Können die Protestierenden ein gutes Stück der öffentlichen Meinung für sich vereinnahmen? Oder wirkt der Ausstand überzogen? Die Frage stellt sich besonders bei der Ankündigung kommender Arbeitskämpfe bei Müllabfuhren und in Kitas. Damit steckt Ver.di in der Defensive, nicht nur gegen die Erhöhung der Wochenstundenzahl von 38,5 auf 40 im Westen, sondern auch gegen den drohenden politischen Bedeutungsverlust der Gewerkschaft.
Seit Monaten gelten in vielen öffentlichen Betrieben nur noch gekündigte Tarifverträge, deren Nachwirkung anhält, sofern keine neuen vereinbart wurden. Für Neueingestellte und Beförderte kann der Arbeitgeber also je nach Gusto längere Arbeitszeiten ausmachen. Der vermeintlich tarifsichere öffentliche Dienst ist zu einem Schweizer Käse geworden.
Aber auch das gesellschaftliche Umfeld hat sich verändert. In vielen Großunternehmen wurde im Rahmen betrieblicher Vereinbarungen die 40-Stunden-Woche wieder eingeführt. Im Osten gab es ohnehin nie kürzere Arbeitszeiten. Und Beamte müssen gleichfalls länger ackern. Kommt es also als Luxus daher, wenn Ver.di für den Westen weiterhin auf der 38,5-Stunden-Woche beharrt? An welchen Maßstäben misst man eigentlich politische Aktionen?
Das Argument der Gewerkschaft lautet: Mit Arbeitszeitverlängerung wird nur der Jobabbau erleichtert. Das ist richtig, nur leider kommt der Jobabbau wegen der knappen öffentlichen Kassen so oder so. Es geht ausschließlich um Einsparungen. Und die Debatte um Arbeitszeitumverteilung ohne Lohnausgleich aus den 90er-Jahren ist auch bei Ver.di heute nicht mehr aktuell.
Denkbar ist immerhin ein Kompromiss, wie er für die Bundesangestellten schon gilt: Die 39-Stundenwoche für den Westen, aber auch für den Osten. Den Arbeitgebern der Länder ist das zu mild. Doch dafür zu kämpfen, bedeutete für Ver.di, selbst eigene Maßstäbe zu setzen und nicht nur abzuwehren. Und das wäre gut. BARBARA DRIBBUSCH