DER FÖDERALISMUS BLEIBT DEN BEWEIS SEINER REFORMFÄHIGKEIT SCHULDIG : Politischer Atemstillstand
Die Atempause, für die Ministerpräsident Wolfgang Böhmer plädiert, kann zum Atemstillstand werden. In den Verhandlungen über eine Reform des Föderalismus dürfte zunächst das letzte Wort gesprochen worden sein. Das zieht eine – scheinbar – paradoxe Konsequenz nach sich: Ausgerechnet ein Thema, für das sich die Stammtische nur wenig interessieren, steigert langfristig die Politikverdrossenheit. Weil sich der Eindruck verstärken wird, dass niemand so genau weiß, wer eigentlich wofür verantwortlich zu machen ist in der Politik.
Scharfe Kritik ist in den letzten Tagen am Ergebnis der Verhandlungen der Föderalismuskommission geübt worden. Das war zu erwarten. Wer einen gordischen Knoten aufknüpfen und nicht etwa zerschlagen will, der braucht viel Geduld – und die Bereitschaft, sich beschimpfen zu lassen. Welcher Politiker sollte diese Bereitschaft aufbringen? Und warum? Wenn es nicht gelingt, eine Mehrheit der Akteure davon zu überzeugen, dass sie von einem Schritt auch profitieren kann, dann wird dieser Schritt eben gar nicht erst nicht getan.
Eine der Konsequenzen der sinnwidrigen Entwicklung des Föderalismus besteht darin, dass Schuldzuweisungen im politischen Feld immer schwieriger werden. Die unauflöslich scheinende – aber von den Eltern des Grundgesetzes keinesfalls gewollte – Verzahnung der politischen Ebenen führt dazu, dass alle immer gleichzeitig verantwortlich zu machen sind. Und zugleich ist deshalb niemand mehr verantwortlich. Die Kommunen und Länder verweisen auf den Bund, die Regierung auf Opposition und Bundesrat und somit zurück auf die Länder. Alle gemeinsam verweisen auf Brüssel, und alle haben damit Recht. Irgendwie.
Jede Reform des Föderalismus muss an der Frage gemessen werden, ob sich Absichten danach leichter zuordnen lassen als zuvor. Bildung? Solidarpakt? Hauptstadtklausel? Gefängnisse? Wichtige Themen. Aber keines ist so wichtig wie die Frage: Ist das System noch immer flexibel genug, um eine Reform innerhalb seiner selbst zustande zu bringen? Wird diese Frage langfristig verneint, ist es nur noch von historischem Interesse, wer die Schuld daran trägt. Weil das System dann ohnehin nicht überlebensfähig sein wird. BETTINA GAUS