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DEBATTEÜber gefälschte Wahlen und falsche Versprechen

■ Einige weiterführende Gedanken zum Prozeß gegen Wolfgang Berghofer und ein Plädoyer für die Unteilbarkeit der Wahrhaftigkeit

Wieder steht ein Wahlfälscher vor Gericht. Der Ex-OB von Dresden, Wolfgang Berghofer. Zwiespältig ist den Leuten beim Sachverhalt ums Herz. Zum einen spürt man jene gewisse Schadenfreude, die einem Menschen zwar nicht sonderlich zur Ehre gereicht, gleichwohl aber Erleichterung schafft.

Er war ein ganz flinker, jener Dresdner Strahlemann. Das Regime, welches ihn bis an die Spitze der sächsischen Metropole befördert hatte, war kaum zu Ende, und schon sah man ihn, staatsmännisch, neben Gästen aus der weiten Welt durch Dresden schreiten und kopfschüttelnd auf die ruinöse Hinterlassenschaft von 40 Jahren verweisen. Gleichzeitig nahm er an der Seite von Gregor Gysi und Hans Modrow dem erschütterten Zweieinhalbmillionen-Parteivolk der SED jede Möglichkeit zur Erneuerung. Der von ihm mitgetragene, handstreichartige Etikettenschwindel PDS verhinderte die Auflösung der SED und ihre Neubildung in Form einer kommunistischen und einer sozialdemokratischen Partei. Als sich jenes Manöver rasch als Bumerang erwies und die Mitglieder in hellen Scharen davonliefen, stellte sich Berghofer entschlossen an die Spitze der Fliehenden und verließ ebenfalls die Partei.

Eine bedeutende Westfirma übernahm nun den kenntnisreichen Flüchtling als Generalvertreter. Wessen Interessen er freilich generell vertrat, soll dahingestellt bleiben. Mit Sicherheit nicht die seiner einstigen Untertanen. Jetzt aber steht er vor Gericht wegen Fingerns an den Zetteln der letzten sozialistischen Wahl.

Nun die andere Seite des Zwiespaltes der Leute. Wahlfälschung? Was war hier denn noch zu fälschen? Oder gibt es wirklich einen einzigen im ganzen Land, der ehrlich glaubt, man hätte den eitlen Wandlitzer samt Gefolge einfach abwählen können? 51 Prozent Gegenstimmen und ab mit den Honeckers, Mielkes, Mittags, Müllers aufs harte Bänkel der Opposition? Und an ihrer Stelle Demokraten an die Macht?

Doch Schrecken über Schrecken. Schon mehrfach stellte sich bei Untersuchungen heraus, auch ohne Fälschung hätten die Muppets des einstigen Politbüros eine satte Mehrheit der Stimmen bekommen. Noch im Juni 1989, so Weimars mittlerweile ebenfalls wegen Wahlfälschung abgeurteilter OB Baumgärtel, CDU, lagen die Jastimmen ohne Fälschung bei über 60 Prozent. In Dresden, glaubt man Berghofer, gar bei 90.

Die DDR-Wahlen waren zweifellos beredtester Ausdruck der allgemeinen Staatslüge und zynischstes Instrument der Unterwerfung. Die Bevölkerung wurde mit gewaltigem propagandistischem Aufwand veranlaßt, ihre zunehmende Entmündigung durch jenen infantilen Akt auch noch zu sanktionieren. Um dann in so langweiligen wie infamen Berichten über die tobende Wahlschlacht die Bilder der eigenen Niederlage vor Augen geführt zu bekommen.

Dennoch allerorten Zweifel über die Justiziabilität des Ganzen. Wo anfangen und wo aufhören? Schaudernde Erinnerung an all die Pflichtveranstaltungen, Bekenntnisse und Zeugnisse, die fast jeder absolvierte in all den Jahren. Schon in den Schulaufsätzen — „Wie der Stahl gehärtet wurde“. Was hat man nicht alles geschrieben in der Bewerbung um den Platz auf der erweiterten Oberschule. Zuerst für sich, dann für die Kinder. Bei der Bewerbung zum Studium. Im Antrag für die neue Wohnung, den Schrebergarten, das Auto, 100mal und mehr verwies man auf seine Verdienste beim Aufbau des sozalistischen Staates und erklärte bei „vorgezogener Belieferung“ mit neuem Trabant, Schrebergarten, Schrankwand und Farbfernseher, „noch mehr“ leisten zu wollen und zu können, für das so blühende wie einmalige Gemeinwesen.

Waren das nicht auch Fälschungen? Denn natürlich dachte von vornherein keiner auch nur im Traum daran, wegen des nach elf Jahren Wartezeit „vorzeitig“ ausgelieferten Wägelchens einen einzigen Fußzeh schneller zu bewegen für den Arbeiter- und Bauernstaat. Kaum ein Mensch dachte daran, daß in jeglicher Bewerbung feierlich zugesicherte ideologische und staatsbürgerliche Wohlverhalten einzuhalten. Erinnerungen daran im Freundeskreis lösten höchstens Gelächter aus oder mitleidiges, verständnisvolles Schweigen. Entscheidend war immer nur der gewonnene Kampf um die Wohnung, um den Platz im Bildungsinstitut, um die Berufsausbildung mit Abitur, die Lehrstelle für die Tochter.

Kaum einer kann hierzulande mit Prozessen solcher Art etwas beginnen. Sie befördern lediglich die Zerrissenheit der Menschen, potentieren ihre Irritationen. „So verächtlich bin auch ich gewesen. Hab auch ich mich gemein gemacht?“ Häufig auch die Frage, was soll ein solches Verfahren denn beweisen? Was leisten? Wiedergutmachung? Die könnte nur heißen — Wiederholung der DDR- Wahlen ohne Fälschung — und statt der 99 Prozent dann die satten 63 Prozent für die verjagten Unholde.

Und das Strafmaß für den Fälscher? Höchstens ein paar Monate auf Bewährung. Er wird frei ausgehen, der wendige wie windige Berghofer. Nur, wenn er noch ein einziges Mal eine Wahl fälscht, muß er einziehen in den Strafvollzug. Aber das wird nicht geschehen. Nie wieder will er, daß hat er schon im Vorfeld des Verfahrens hoch und heilig versprochen, an Urnen hantieren.

Wenn solch ein Prozeß überhaupt einen Sinn haben sollte, dann den, künftig alles, was mit arglistiger Täuschung des Volkes zu tun hat, unter Strafe zu stellen. Denn nicht mehr gefälschte Wahlen sind es, die das einstige DDR-Volk zu fürchten hat. Die Gutmütigen und trotz des jahrzehntelangen Staatsschwindels noch immer so gutgläubigen Leute, werden fürderhin einer fast ebenso schlimmen Pest aufsitzen. Dem so vollmundig wie wissentlich falsch abgegebenen Wahlversprechen. Der Anspruch auf Wahrhaftigkeit sollte Gegenstand solcher Prozesse sein. Wer demselben künftig zuwider handelt, begibt sich auf die gleiche Ebene wie jene Wahlfälscher und müßte sich wie sie zu verantworten haben. Henning Pawel

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