DAS SADDAM-TRIBUNAL WIRD ENORME LEGITIMATIONSPROBLEME BEKOMMEN : Vor einem zweifelhaften Verfahren
Als ob er’s geahnt hätte, setzte nur wenige Tage vor der Ergreifung Saddams der irakische Verwaltungsrat ein Sondertribunal zur Aburteilung von Verbrechen des Baath-Regimes ein. Die Statuten des Gerichts, so ein Sprecher des Rates, stünden im Einklang mit rechtsstaatlichen Grundsätzen. Zudem werde man ausländische Experten heranziehen. Der Erklärung folgten fast unisono misstrauische Reaktionen aus dem Kreis der Menschenrechtsorganisationen. Und dies zu Recht.
Natürlich wäre es für die Legitimität des Verfahrens günstig, wenn irakische Richter über die Verbrechen Saddams und seiner Gefolgsleute urteilen würden. Aber die Glaubwürdigkeit eines solchen Gerichts würde erstens davon abhängen, dass es von gewählten Volksvertretern ernannt und nicht, wie geschehen, vom Verwaltungsrat eingesetzt wird. Zweitens wirft die Auswahl der Richter Probleme auf. Saddams Regime bot nur eine rechtsstaatliche Fassade und fast alle Richter und Staatsanwälte, die mit Strafsachen beschäftigt waren, funktionierten als Henkersknechte des Diktators. Drittens: Welches materielle Recht soll gelten? Soll die Todesstrafe angewandt werden, die gegenwärtig von der Besatzungsmacht noch ausgesetzt ist, aber nach der Einsetzung einer Übergangsregierung (und damit der formellen Rückübertragung der Souveränität) wieder eingeführt werden könnte? Könnten die Staaten der Koalition, die die Todesstrafe abgeschaft haben, einer Auslieferung Saddams an das irakische Tribunal zustimmen?
Die beste Lösung, eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof, scheidet schon deshalb aus, weil dort nur Verbrechen, die nach Mitte 2002, dem Gründungsdatum des Gerichts, begangen wurden, abgeurteilt werden können. Ein solches Verfahren würde auch am Einspruch der USA scheitern. Das gleiche Schicksal träfe auch eine Lösung nach dem Modell des Sierra-Leone-Tribunals, wo einheimische und internationale Richter, Staatsanwälte und Verteidiger gemeinsam Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkriegs verhandeln. Denn auch dieses Gericht wurde vom Sicherheitsrat der UNO eingesetzt. Und die UNO, Glaubenssatz Nr. 1 der US-Besatzer, muss bei wichtigen Entscheidungen draußen bleiben.
Dabei ist ein Tribunal gegen die führenden Vertreter des Saddam-Regimes aus Gründen der Gerechtigkeit, der Prävention und der Stärkung rechtsstaatlichen Bewusstseins dringend geboten. Es wird deshalb darauf ankommen, dass Menschenrechtsorganisationen und die internationale Juristen-Community öffentlich Druck erzeugen, um dem Verfahren von Bagdad eine hinreichende rechtsstaatliche Basis zu sichern. Die Chancen dafür sind mehr als zweifelhaft. CHRISTIAN SEMLER