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Archiv-Artikel

DAS BESTE, SCHÖNSTE UND TOLLSTE ALLER ZEITEN LIEGT LEIDER SCHON WEIT HINTER UNS. SEHR WEIT Es geht bergab

JÜRN KRUSE

Vor Kurzem habe ich bei Vox eine Doku über die Rolling Stones gesehen: „Die größte Band der Welt“, hieß sie. Nicht nur, dass ich bei der größten Band der Welt ständig an die Kelly Family oder die Fischer-Chöre denken musste, und abgesehen davon, dass die Doku am Samstagabend lief und das schlimme Rückschlüsse auf mein Leben zulässt, und lassen wir auch mal beiseite, dass in den mehr als vier Stunden ständig Dinge angekündigt wurden, die schon zu sehen gewesen waren, war am schlimmsten, dass permanent von der „erfolgreichsten Rockband aller Zeiten“ die Rede war.

„Aller Zeiten“? Woher weiß Vox denn, was da zukünftig an Rockbands noch kommen mag – und wie megaerfolgreich die dann werden? Vielleicht bekommt diese Band in 50 Jahren eine achtstündige Doku?

Es ist unerträglich: Ständig wird uns das Größte, Tollste, Schönste, Beste, Schnellste „aller Zeiten“ vorgesetzt.

Das Fernsehen und die Musik gehen eine besonders unheilvolle Verbindung in der Verbreitung dieser schwachsinnigen Phrase ein. Ein längst nicht vollständiger Auszug aus den „aller Zeiten“-Folgen von Olli Geißens „Ultimativer Chartshow“ bei RTL: „Die beliebtesten Weihnachtshits aller Zeiten“, „Die größten Skandal-Songs aller Zeiten“, „Die erfolgreichsten New-Wave- und Popsongs aller Zeiten“, „Die erfolgreichsten Herzschmerz-Songs aller Zeiten“, „Die erfolgreichsten Pop-Pianohits aller Zeiten“.

Selbst der ARD-Superliteraturkritiker Denis Scheck hat uns in seiner Sendung „Druckfrisch“ bereits „den besten Western aller Zeiten“ vorgestellt. Western-Fans und -Macher von hier bis an den Missouri können dementsprechend einpacken: Schöner wird’s nicht mehr.

Besonders bescheuert sind auch die ständig wiederkehrenden Auflistungen der teuersten Fußballer oder erfolgreichsten Olympioniken oder schnellsten Sprinter aller Zeiten. Als hätte uns der Sport in allen bisher vergangenen Zeiten nicht gelehrt, dass es immer noch ein bisschen teurer, erfolgreicher und schneller geht. Und fällt wirklich keinem der Klickstreckenzusammenbastler auf, dass durch die ständige Überarbeitung dieser Listen (nachdem wieder ein Transferrekord abgeschlossen wurde) das „aller Zeiten“ bereits widerlegt wurde?

Selbst die Wettervorhersage wird einem schon mithilfe des „aller Zeiten“-Schwachsinns verkauft: wetter24.de fragte bereits Mitte Oktober, ob dieser Oktober der wärmste aller Zeiten werde. Ohne mich zu weit aus dem Fenster lehnen zu wollen, würde ich die Frage mal mit „Nein“ beantworten. Sie wissen schon, globale Erwärmung und so.

Und natürlich ist der aktuelle Streik der GDL laut Bild „der größte Bahnstreik aller Zeiten“.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Montag Anja Maier Zumutung

Dienstag Deniz Yücel Besser

Mittwoch Martin Reichert Erwachsen

Donnerstag Überraschung ÜberraschungFreitag Michael Brake Nullen und Einsen

Nachdem durch die letzte Kolumne das Wort „Kult“ ja schon so gut wie verboten ist, sollte mit „aller Zeiten“ das nächste nervige Medien-Werbe-Unwortpaar gleich auf den Index folgen.

Denn glauben wir all den „aller Zeiten“-Phrasen tatsächlich, kann es von nun an nur noch bergab gehen. Den Gipfel haben wir schließlich schon erreicht. Früher war demnach die beste Zeit aller Zeiten. Und das kann doch niemand wollen.