■ CSD: Party oder Politik?: Der Zweck heiligt die Mittel
Karl Wilhelm, 45 Jahre, Schlosser
Für mich hat der CSD seinen politischen Gehalt weitgehend verloren. Wenn ich früher zum CSD gegangen bin, ging es eher darum, präsent zu sein und seine politische Ambition herauszustellen. Doch mittlerweile ist die Party wichtiger. Außerdem fühle ich mich persönlich auch nicht diskriminiert. Wenn sich die gesellschaftliche Situation ändert, wird auch der CSD wieder politischer werden.
Dirk Novak, 22 Jahre, Selbständiger
Für mich hat der CSD einen rein politischen Charakter. Mit der Akzeptanz von Schwulen und Lesben muß es endlich vorwärts gehen. Es kann doch nicht nur darum gehen mal richtig abzutanzen und zu saufen. Natürlich unterstützt eine gute Party das Politische, da heiligt der Zweck die Mittel. Aber man darf es nicht nur als Party sehen. Das Politische steht für mich im Vordergrund.
Susi Rheintal, 33 Jahre, Heilpraktikerin
Für mich ist der CSD eine große Party. Das finde ich auch schöner. Ohne Politik funktioniert die Parade natürlich nicht. Wenn man hingeht, ist das Politik. Aber ich denke, die Leute wollen sich erst mal lieben und Sex haben. Leben ist aber auch Politik. Nämlich ab dann, wo es gesellschaftlich wird, wenn zum Beispiel verschiedene Gruppen aufeinanderprallen und kommunizieren müssen.
John Alham, 26 Jahre, Barkeeper
Der CSD ist da für schwules Selbstbewußtsein, gay pride. Das ist das Wichtigste. Ich gehe nicht in der Annahme zum CSD, die Politiker würden anfangen, sich für uns zu interessieren. Ich will mein schwules Selbstbewußtsein repräsentieren. Daraus ist der CSD auch entstanden. Die Leute in der Christopher Street haben tagtäglich ihren gay pride gelebt, und wenn die Polizei kam, war das zu Ende. Das haben sie sich nicht gefallen lassen.
Dagmar Ulrich, 40 Jahre, Lehrerin
Für mich ist der CSD beides: Party und Politik. Aber wieso sollte Politik nicht mit Spaß verbunden sein? Natürlich haben im Laufe der Zeit auch kommerzielle Elemente an Einfluß gewonnen, aber das ist nicht zu verhindern, irgendwie muß eine Bewegung doch auch finanziert werden. Zwar stürzen sich mittlerweile die Modefirmen auf Schwule und Lesben, für bedenklich halte ich das aber nicht.
Jörg Lehm, 40 Jahre, Kostümbildner
Heutzutage soll man sich amüsieren. Für Politik kriegt man die Leute sowieso nicht an einen Tisch: heute geht es doch um Jubel, Trubel, Heiterkeit. So zeigen wir den Leuten doch, daß wir was auf die Beine stellen können, im Gegensatz zu andern. Für mich ist der CSD ein großer Umzug, das finde ich auch viel besser. Er müßte nur besser organisiert werden – so wie der Karneval in Rio.
Umfrage: Tobias Rapp
Fotos: Max Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen