CONTRA: DAS NEIN ZUR VERFASSUNG WIRD EUROPA LÄHMEN : Solidarité à la française
Siebzig Prozent der französischen Bauern haben gegen die EU-Verfassung gestimmt. Das irritiert nur auf den ersten Blick. Gründlicher betrachtet ist es kein Wunder, denn viele französische Landwirte würden von einer Reform nicht profitieren. Der Subventionsirrsinn funktioniert auf Grundlage des jetzt geltenden Vertrags viel reibungsloser. Würde die Verfassung in Kraft treten, dürfte das Parlament künftig mit entscheiden, wie die Schwerpunkte in der Agrarpolitik gesetzt werden. Es würde die Förderung an Landschaftspflege und Arbeitsplätze koppeln, Agrarfabriken hätten das Nachsehen.
Wie das Beispiel zeigt, hatten die Wähler in Frankreich edle und weniger edle Motive, die EU-Verfassung abzulehnen. Da sie mit vielen Zungen gesprochen haben, suchen sich die Politiker in Brüssel am Tag danach das für sie Passende heraus. Nur Ratspräsident Juncker hat melancholisch angemerkt, Orientierungshilfe für das weitere Vorgehen biete das Wählervotum nicht. Aus den Stimmen, die mehr Europa wollen, und denen, die Europas Einfluss eindämmen möchten, sei ein gemeinsamer Wählerwille kaum zu kondensieren.
Diese Krise enthält keine Chance für einen europapolitischen Befreiungsschlag. Die widersprüchlichen Erwartungen an die Union werden in eine Phase der Lähmung führen. Das bedeutet, dass die Kommission die gerade von der Linken attackierte marktwirtschaftliche Tagesroutine wie Beihilfekontrolle und Fusionsgenehmigungen technokratisch auf Grundlage der bestehenden Verträge weiterführen kann. Der zerstrittene Rat der Regierungen kann dem politisch nichts entgegensetzen.
Die Finanzverhandlungen für die Planungsphase von 2007 bis 2013 sind blockiert. Daher können Projekte in Osteuropa und in armen Regionen der alten EU nicht vorbereitet werden, weil die Finanzierung für 2007 nicht sichergestellt ist. Das Geld, das helfen soll, Europa zusammenwachsen zu lassen, kann nicht fließen. Alle, die bislang finanziell profitiert haben, können sich entspannt zurücklehnen – ihre Privilegien bleiben bestehen. Solidarité à la française eben. DANIELA WEINGÄRTNER