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Archiv-Artikel

CHRISTIAN SCHNEIDER ÜBER GERÜCHTEES GIBT GERÜCHTE, ZU GUTTENBERG KÖNNTE ZURÜCKKOMMEN. WIESO GERÜCHTE? WIR HABEN SEINE COMEBACK-REDE VON 2013 Machen Sie mich zum Bürgerkönig der Herzen

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Natalie Tenberg Habseligkeiten

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei

Freitag David Denk Fernsehen

Montag Anja Maier Blagen

DienstagMartin Unfried Ökosex

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

vor gut zwei Jahren habe ich mich schmerzenden Herzens von Ihnen und damit aus dem Auge der Öffentlichkeit, die mir so viel bedeutet, verabschiedet. Nun, es ging nicht anders. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, wie weh es tat, sich von einem Amt zu trennen, an dem, wenn ich mich selbst zitieren darf, „mein Herzblut gehangen“ hat.

Ich hatte in den letzten Monaten zum ersten Mal seit Jahren Zeit, mich mit mir selber darüber zu verständigen, was das hieß, was es heißt und was es möglicherweise in Zukunft für mich heißen wird. Ich räume hier und heute offen und mit reflexivem Nachdruck ein, dass ich seinerzeit den Kairos, ja den Kairos – wenn Sie mir diese Nebenrede gestatten: Kairos ist deutlich auf der zweiten Silbe zu betonen, nicht, wie es einige plebejische Nachredner in der Zeit meines Rücktritts gedankenlos so ausgesprochen haben, als handele es sich um den Genitiv der ägyptischen Hauptstadt – den Kairos also, den richtigen Zeitpunkt verpasst zu haben. Warum mir das unterlaufen konnte, auch darüber habe ich in den verflossenen Monaten gründlich nachgedacht. […] Diese Zeit im Tusculum meiner eigenen Seelennot war für mich eine Schule der Menschlichkeit. […]

Durch eleeos und phobos bin ich gegangen, durch Mitleid und Furcht, jedoch – wenn ich mir das Bonmot erlauben darf – furchtlos, was das Mitleid mit mir selbst angeht. Nein, meine Damen und Herren. Es geht nicht um Selbstmitleid. […] Es ging mir in der tiefen, oft genug schmerzlichen Selbstreflexion um das von Verantwortung getragene Mitleid mit der res publica, der, wenn ich das einmal so übersetzen darf: „öffentlichen Sache“, die wir als politische Menschen doch, gerade, wenn man wie ich aus einer tausendjährigen Tradition des Dienens an dieser Sache kommt, zur höchsten Sache erklären muss.

Als Diener dieser Sache […] habe ich seinerzeit einen Fehler gemacht. Ich hätte nicht mein persönliches Schicksal über das des Staates stellen dürfen! Es hat mir am Mitleid für Sie, meine verehrten, geliebten Mitbürgerinnen und Mitbürger, gefehlt! Ich hätte Sie nicht allein lassen dürfen […]

Seit meinem Rücktritt ist es drunter und drüber gegangen. Ich sehe mich, nicht zuletzt durch meine in tausendjähriger Tradition aristokratischer Bewährung – und, meine Damen und Herren, Sie kennen die Übersetzung dieses Worts: Aristokratie ist die „Herrschaft der Besten“; nicht die der Funktionäre, der Streber, der Zeloten […] – gestählten Reflexion mehr denn je in der Verantwortung. Wir brauchen die Besten für die res publica […]. Ich kann es nicht länger verantworten, mich dem zu entziehen.

Lassen Sie es mich im Klartext sagen: Ich biete Ihnen hiermit an, mich in einem urdemokratischen Referendum an jene Stelle des Staates zu stellen, die meinem Verantwortungsgefühl, meinem politischen Talent, meiner Intelligenz und meinen Führungsqualitäten allein entspricht. Ich bitte Sie um Ihre Stimme bei der Wahl zum Bürgerkönig der Herzen.

Barbara Dribbusch schreibt derzeit an einem Buch und kolumniert bis Juni nicht. Ghostwriter dieser fiktiven Guttenberg-Rede ist der Frankfurter Soziologe Christian Schneider. Vollständig finden Sie sie auf taz.de