piwik no script img

Archiv-Artikel

CHEMIEDROGEN SIND GUT! WER GENUG MDMA NIMMT, TANZT IM REGEN – UND KANN DER RECHTEN-HOCHBURG HAMBURG POSITIVES ABGEWINNEN Sommer, Sonne, Ecstasy

JULIA SEELIGER

Hamburg. Neben Berlin die einzig andere lebenswerte Stadt in Deutschland. Hamburgs Qualität bemerkt man daran, dass in der Gegend zwischen Hamburg und Berlin besonders viele Technofestivals stattfinden. Hamburg ist also wie Berlin und doch ganz anders. Die Gentrifikation-Probleme da – die sind echt! Hamburg hat keinen Technoclub namens Berghain. In Hamburg sind alle Parteien rechts. Und der CCC da, der hat sogar echte Nazis in seinem Umfeld! Eine krasse Stadt. Eben wie Berlin, nur ganz anders. Anders als Berlin liegt Hamburg an einem Fluss. Westlich dieses Flusses und in Hamburg regnet es immer. In Berlin dafür nie. Mitbewohner Ernesto – wir lebten in Braunschweig – riet mir vor über zehn Jahren: „Geh nach Berlin, Julia. In Berlin scheint immer die Sonne!“ Vor kurzem fuhr ich, trotz übler Vorahnungen, von Berlin nach Hamburg. Pünktlich in Wittenberge begann es zu regnen. Aus dem Zugfenster war kein Technofestival zu sehen, aber ich wusste: da ist sicher eines. Irgendwo da im Wald, hinter den Feldern, da sind gerade ein paar Menschen sehr, sehr glücklich. Mit Regen. Auf ’nem Technofestival. Und mit Ecstasy. Chemie ist gut! MDMA wirkt immer. Als ich letztens ein wenig vom Ecstasy-Wirkstoff MDMA naschte, es aus dem Tütchen dippte wie Nutella aus dem Glas, und keine Wirkung verspürte, hieß es: „dann war’s kein MDMA.“ Ach so! Glück gehabt. Und ich hatte mir schon Sorgen gemacht! Horrorvision „the drugs don’t work“. Sorgen um meine Gefühle, mein Herz, meinen Zustand. Jedoch, das Einzige, was Sorgen machen sollte, war die zu niedrige Dosis. Für Erwachsene ist MDMA grundsätzlich ungefährlich, hat auch die Gesundheitsbehörde der kanadischen Provinz British Columbia kürzlich mitgeteilt. Gefährlich seien ausschließlich die Verunreinigungen. Ein Lichtblick in Zeiten der Drogenprohibition. Es gibt in der Wissenschaft dummerweise noch eine andere Schule, die meint, Ecstasy schädige das Hirn. So was stellen die dann an Mäusen fest und rechnen es einfach auf Menschen hoch. Schade ist, dass diese Leute diejenigen sind, denen die Politiker glauben, wenn sie das Betäubungsmittelgesetz machen. Ist ja auch schön einfach: Drogen sind böse und deswegen müssen sie verboten sein. Andere Denkweisen führen zu Anrufen der Bild-Zeitung, dann folgt schlechte Presse für den Politiker. Will keiner haben.

Bei uns zu Hause in der Küche hängt ein Ausriss aus der Zeit – Überschrift: „Droge gegen Krebs“. Für die Anti-Krebs-Wirkung müsste man aber ziemlich große Mengen MDMA in sich reinschaufeln. Dabei gehen Überdosierungen eigentlich klar: Ein Freund von mir schluckte mal irrtümlich das Zwanzigfache der empfohlenen Menge. Die Wirkung war stärker und dauerte länger an, Schlimmeres ist nicht passiert. Bei einer Überdosierung landet man dann eben nicht auf Wolke sieben, sondern auf Wolke 7.456.535. Oder auf Alpha Centauri. Am Rande des Universums, in komischen Dimensionen, wo es keinen Hass, sondern überall unzählbar unendliche Liebe gibt. Wo einem das Gehirn in weißen Strömen zerfließt und es egal ist, ob man sitzt, steht oder liegt. Hauptsache, man ist. Glücklich.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Margarete Stokowski Luft und Liebe

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei

Freitag David Denk Fernsehen

Montag Kübra Gümüsay Das Tuch

Dienstag Deniz Yücel Besser