Bruttosozialglück : Glück geht anders
Unsere Gesellschaften bemessen Wohlergehen nur in monetären Kennziffern. Doch gesellschaftliche Zufriedenheit funktioniert anders.

Den Krisenstaaten Griechenland und Spanien geht es inzwischen besser, behauptet die EU-Troika. Ihr Beweis: nichts sagende ökonomische Kennziffern. Ob es den BewohnerInnen dieser Länder besser geht, sagen die Finanzbürokraten nicht – und es interessiert sie auch nicht. Dabei belegen repräsentative Umfragen, die Ende 2013 im UN-Glücksbericht veröffentlicht wurden, dass die durchschnittliche Lebenszufriedenheit in den europäischen Krisenstaaten geradezu dramatisch abgestürzt ist. Auch in Deutschland, das stark von der Krise profitiert hat, steht es nicht zum Besten: Selbst in konservativen Kreisen ist eine große Mehrheit der Meinung, dass unser Wirtschaftssystem ungerecht ist.
Glück geht anders – denn gesellschaftliches Glück bedarf ganz anderer Bedingungen als jene, auf denen unsere heutige Wirtschaft basiert. Gemeinschaft und freundschaftliche Beziehungen, selbstbestimmte Arbeit und eine intakte Umwelt sind zentral. Dagegen kann mehr Geld nur in sehr armen Ländern das Wohlergehen steigern. Und nicht einmal Reiche profitieren in Form von Lebenszufriedenheit, wenn sie in einer sehr ungleichen Gesellschaft leben. Kurzum: Unsere wachstumsfixierte Wirtschaft funktioniert nach Kriterien, die mit Glück nichts zu tun haben. Was aber ist der Sinn von Ökonomie, wenn nicht der, ein gutes Leben zu fördern?
Welch ein Fortschritt wäre es, wenn die EU-Institutionen nicht länger auf das Bruttoinlandsprodukt starren, sondern sich verpflichten würden, das Bruttosozialglück und Wohlergehen aller EuropäerInnen zu fördern. Warum gibt es einen EU-Kommissar für Wettbewerb, einen Vizepräsidenten für Wirtschaft und Währung, aber keine EU-Kommissarin für Glück und Wohlergehen?
In dem kleinen Himalajastaat Bhutan ist das Glück seiner BewohnerInnen als Verfassungsziel verankert, eine Glücksbehörde kümmert sich um die Umsetzung. Nicht durch Zwangsbeglückungen von oben, sondern durch Befragung der Menschen und verbesserte Rahmenbedingungen für ein gutes Leben wie Bildung, Gesundheit oder eine intakte Natur.
Es gibt zwar gegenwärtig wenig Anlass anzunehmen, dass staatliche Institutionen in Brüssel oder Berlin einen ähnlichen Perspektivwechsel vollziehen. Doch längst wuchern von unten neue Bewegungen. Die Beteiligten probieren Formen des gesellschaftlichen Umgangs, bei denen nicht die Geld- und Gütervermehrung im Zentrum steht, sondern das gute Leben. Da entsteht vieles nebeneinander, partizipativ, hierarchiefrei, selbst organisiert.
Es geht um Gesundheit, intakte Natur, Zeitwohlstand, Wachstumsreduktion, ökosoziale Transformation, partizipative Demokratie, Fürsorge, Pflege von Gemeingütern, Nutzen und Teilen statt Besitzen. Neue Formen der Kommunikation werden erprobt – peer to peer, von gleich zu gleich. Diese Bewegungen sind bunt. Niemand sucht nach der reinen Lehre, vieles entsteht in friedlicher Koexistenz, Kooperation und gegenseitiger Befruchtung.
Auf dem taz.lab werden wir VertreterInnen dieser sich rasant entwickelnden Bewegungen aufs Podium holen: die „Glücksministerin“ Gina Schöler und ihre „Vizeministerin“ Saskia Rudolph, die auf dem Internetportal „Ministerium für Glück“ eine Medienkampagne gestartet haben, die Commons-Vordenkerin Silke Helfrich, Kunstaktivistin Jaana Prüss, die Publizistin Adrienne Goehler, den Gemeinwohlökonomie-Gründer Christian Felber sowie Thomas Dönnebrink von Ouishare und Thorsten Wiesmann von think2share. Moderiert wird die Veranstaltung von den beiden Autorinnen dieses Textes. Das Publikum wird ausdrücklich eingeschlossen und darf sich auf Überraschungen freuen.
UTE SCHEUB, ANNETTE JENSEN
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