: Bremen ist eine Provinz -betr.: Fachvermittlungsdienst im BIZ, taz v. 10.4.1996
Betr.: Fachvermittlungsdienst im BIZ; taz v. 10.04.
Die Erfahrungen der als Kulturwissenschaftlerin getarnten Journalistin bei dem Versuch, sich über mögliche Berufsperspektiven zu informieren, sind in Bremen kein Einzelfall. In diesem Zusammenhang möchte ich unbedingt zwei Anekdoten zum besten geben, die mir auf meinem Streifzug durch den Arbeitsmarkt wiederfahren sind:
Um mich über die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu informieren, begab ich mich zum Stellen-Informations-Service des Arbeitsamtes. Noch war ich optimistisch und äußerst gespannt darauf, was mir der Computer zu bieten hatte. Daß er das Suchwort „Kulturwissenschaft“ nicht kannte, erstaunte mich nicht weiter. Schließlich hatte ich extra ein Zweitfach gewählt, unter dem sich jede/r etwas vorstellen kann.
Unter „Romanistik“ wurde ich auch sofort fündig. Gesucht wurde „ein Abteilungsleiter/eine Nachwuchsführungskraft für den Vertrieb von Sportartikeln im Einzelhandel“. Der Arbeitsplatz liege zwischen Dortmund und Frankreich, der Kandidat solle verkaufsorientiert, fair, vital und offen sein. Unter „besondere Fähigkeiten“ wurden nicht etwa sehr gute Französischkenntnisse genannt, nein, gefragt waren „nur sehr aktive Sportler!“ Also nichts für mich.
Nachdem ich mich von diesem Schock einigermaßen erholt hatte, hängte ich mich ans Telefon, um mich, diesmal nicht bei einer Maschine, nach Fortbildungsmöglichkeiten im EG-Bereich zu erkundigen.
Ich (im folgenden abgekürzt „I“) wurde mit dem EG- Beauftragten des Arbeitsamts ( „B“) verbunden: I: „Könnten Sie mir Auskunft geben über Fortbildungsmöglichkeiten im EG-Bereich? Ich habe Kulturwissenschaft und Romanistik studiert.“
B: „Ja, also, da müßten Sie mal nach Bonn schreiben an die EG- Kommission und Unterlagen anfordern über diese Concours (Auswahlverfahren für Laufbahnen bei der Europäischen Kommission).“ I: „Ah, haben Sie nicht zufällig Infomaterial da?“
B: „Nein, ich habe gar nichts hier.“
I: „In Bremen gibt's nichts in der Richtung, oder?“
B: „Nein, Bremen ist eine Provinz.“
I: „Und welche Aufgaben gibt es da so bei der Kommission?“
B: „Also, Sie würden dann zum Beispiel im Europäischen Sozialfonds arbeiten, äh, was haben Sie nochmal studiert, Kunsthistorik? Ja, also da würden Sie dann beschließen, ob ein Denkmal förderungswürdig ist oder nicht. Da können Sie dann viel reisen, nach Griechenland und so.. .
I: „Ah ja, da wollte ich immer schon mal hin. Vielen Dank auch für die Information.“ (Die Kulturwissenschaftlerin M.A. hockt immer noch in der Provinz.
Die Entscheidung fällt so schwer: Griechenland wär' ja ganz nett, aber Denkmäler? Also dann schon lieber Turnschuhe verkaufen in Südfrankreich!)Andrea Quick
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