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Brechmittel für die Moral -betr.: "Brechmittel für Dealer", taz vom 22.4.95

Betr.: „Brechmittel für Dealer“, taz vom 22.4.95

An der Diskussion über die Verabreichung von Brech- und Abführmitteln an mutmaßliche Drogenhändler stört mich, daß sie sowohl in der Öffentlichkeit als auch unter Kollegen fast ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Gesundheitsgefährdung der Betroffenen geführt wird.Freilich gibt es Gesundheitsrisiken: Jeder Medizinstudent muß das Mallory-Weiss-Syndrom pauken, das ein Einreißen des Magenpförtners bezeichnet, mit der Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen, ausgelöst unter anderem durch unstillbares Erbrechen.

Im Kern handelt es sich jedoch weniger um eine fachliche, als um eine moralische und medizinethische Frage. Bezeichnet unser Grundgesetz die Würde und körperliche Unversehrtheit jedes (!) Menschen für unantastbar, so war es, traumatisiert durch fürchterliche Taten von Medizinern während der Nazizeit, viele Jahre Konsens in der Kollegenschaft, daß nicht Arzt sein kann, wer Menschen gegen ihren Willen Leid und Schmerz zufügt.Was langandauerndes Erbrechen mit dem Gefühl für die eigene Würde anrichtet und wie weh es tut, mag jeder an sich selbst ausprobieren..Wie weit muß die Stigmatisierung und Entwertung einer Menschengruppe fortgeschritten sein, wenn man ihnen derartige Torturen zumutet!

Hans-Joachim Streicher

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