: Boomende Bassmusik
CLUB Klingt irgendwie doch portugiesisch – ein Festival voll Lusotronics im Gretchen
■ Das Lusotronics-Festival widmet sich der elektronischen Musik und dem urbanen Lifestyle der vier wichtigsten Ländern des portugiesischen Sprachraums: Angola, Brasilien, Mosambik und Portugal. An zwei Tagen gibt es dabei im Gretchen, Obentrautstraße 19–21, Electronica wie Baile Funk, Tecno Brega oder Ku-House zu hören.
■ Das Musikprogramm wird durch Dokumentarfilme und Vorträge ergänzt, die Einblicke in lokale Szenen der portugiesischsprachigen Welt und ihrer hybriden Clubmusik geben. Heute am Samstag startet das Programm um 21 Uhr, am Sonntag um 16 Uhr. 15 Euro, Kombiticket 24 Euro: lusotronics.com
VON ASTRID KUSSER
Portugal kämpft gerade ähnlich wie Griechenland oder Spanien mit der Krise und einer verordneten Sparpolitik. Aber Portugal ist nicht nur Teil der EU, es ist und war immer auch Teil der Lusophonie, als Mutterland der portugiesischen Kolonien, die sich einst um den Globus zogen. In Zeiten der Krise ist diese Geschichte besonders aktuell – massenweise suchen Portugiesen heute Arbeit in den (noch) boomenden Ökonomien von Brasilien und Angola, wo sie nicht nur die Sprache verstehen, sondern oft auch gleiche Rechte haben.
Aus der Perspektive von Deutschland ist Portugal heute Peripherie, der Rand, der erst noch sparen lernen muss. Die Clubmusik, die seit ein paar Jahren via Lissabon nach Europa kommt, sprengt solche Kategorien und erzählt eine andere Geschichte der Moderne. In ihrem dicht gesampelten und körperlich erschütternden Elektrosound ist sie kein ständig von den Barbaren am Rand bedrohtes Projekt und Europa keine weißgewaschene Insel.
Die Ästhetik dieser Variante von Techno steht mit allem und jedem in Verbindung, sie hat die Verbindung zu Tanzmusiken wie Samba und Calypso nie abreißen lassen und ermöglicht eine Partymusik, die mehr will als Selbstverausgabung und Abzappeln. Die Rhythmen von Candomblé und Vodoo sind präsent, aber abstrakt, die geschüttelten Schultern und Hüften der von den Göttern Besessenen verlassen ihren religiösen Raum und gehen auf Reise.
Baile Funk, Tecno Brega
Sicher, diese Dynamik geht weit über den portugiesischsprachigen Raum hinaus. Baile Funk und Tecno Brega aus Brasilien, Kuduro aus Angola und Mosambik sind Teil von Bassmusiken, die sich musikalisch und tänzerisch gerade rasend schnell über Soundcloud und You Tube ausbreiten, überall aufgegriffen und weiterverarbeitet werden. Ist es trotzdem sinnvoll, die Lusotronics aus diesem Kontext herauszugreifen, wie es das gleichnamige Festival dieses Wochenende im Club Gretchen vorschlägt?
Doch, es ist sinnvoll, auf jeden Fall, weil es der Vorstellung widerspricht, dass sich in Zeiten der Globalisierung einfach alles irgendwie mit allem mischt. Es gibt viel mehr spezifische historische und politische Kontexte, in denen Phänome wie die Lusotronics heute auftauchen.
Vieles ist in der Lusophonie anders gelaufen als bei der Anglo- und Frankophonie. Im Vergleich zu London und Paris spielte Lissabon im 19. Jahrhundert keine so bedeutende Rolle als eurozentristisch aufgeladenes kulturelles Zentrum. Vielleicht begann es damit, dass der König von Portugal auf der Flucht vor Napoleon das Land verließ und kurzerhand mit dem gesamten Hofstaat nach Brasilien umzog. Nirgendwo sonst wurde Sklavenhandel und Sklaverei länger betrieben als zwischen den (ehemaligen) portugiesischen Kolonien. Heute sind es die Nachwirkungen des Kalten Krieges, der Bürgerkriege und Militärdiktaturen, die politisch wie popkulturell das Klima prägen. Aber hier wird nichts nachgeholt, alles passiert gleichzeitig – Rock und Punk, Techno und House, autonome Selbstaffirmation und gouvernementale Zurichtung.
Am Sonntag wird es beim Lusotronics-Festival zum Beispiel in einem Vortrag um die Situation von Baile Funk in Rio de Janeiro gehen und um die Politik der „Pazifizierung“ der Favelas durch Sondereinheiten der Militärpolizei. Lange hatten die brasilianischen Medien Baile Funk mit Drogenbanden und Kriminalität gleichgesetzt. Bis heute geht die Polizei oft eher gegen die Partys selbst als gegen die möglicherweise in ihrem Umfeld verübten Straftaten vor.
Trotzdem breitet sich der Rhythmus und mit ihm eine recht autonome Partykultur im ganzen Land aus. Im Vorfeld von Fußballweltmeisterschaft und den Olympischen Spielen hat die Regierung von Rio de Janeiro nun einen Großteil der innerstädtischen Favelas von den Druglords zurückerobert und damit eine Welle der Immobilienspekulation erzeugt. Wer dort heute eine Party organisieren will, muss beim Chef der lokalen Militärpolizei eine Erlaubnis erbitten – und die kann ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden.
Besonders demokratisch ist das nicht. Aber die Szene organisiert sich auch gegen die Willkür der Polizei. Weil die Regierung weiß, dass sie sich mit Polizeipräsenz und Maschinengewehren allein nicht durchsetzen kann, investiert sie massiv in kulturelle Projekte. Das wiederum verbessert die Verhandlungsbasis von Funkeiros, die sich gegen die militärische Logik der Pazifizierung zur Wehr setzen und um ihre Stadtviertel kämpfen. Das Schlagwort heißt auch hier Gentrifizierung, eine Konfliktlinie, die sich ja wahrlich nicht auf Rio de Janeiro beschränkt.
Partyfreundlicher Rahmen
Das Lusotronics-Festival schließt in vielerlei Hinsicht an das „Radical Riddims“-Festival vor zwei Jahren im Ritter Butzke an und bietet mit dem Gretchen als Veranstaltungsort einen etwas partyfreundlicheren Rahmen als die Worldtronics vor einigen Monaten im Haus der Kulturen der Welt. Neben den brasilianischen Homies von Kurator Daniel Haaksmann finden sich diesmal viele Künstlerinnen und Künstler aus Mosambik, Angola und Portugal im Line Up.
Neben zwanzig Acts stehen sieben Filme und fünf Vorträge auf dem Programm. Lokale Popstars wie die transsexuelle Titica, die 2011 zum Best Kuduro Artist in Angola gewählt wurde, sind ebenso am Start wie DJ BBrave aus Frankreich, der eine Art digitaler Sammler afrikanischer Rhythmen geworden ist.
Man könnte dem Programm eine Überaffirmation von Zugang, Machbarkeit, Verfügbarkeit vorwerfen. Das Ergebnis ist total ausbeutbar, aber in welche Richtung, ist längst nicht ausgemacht.