: Blümchen will reich werden Von Ralf Sotscheck
Das Schild klang vielversprechend: „Das älteste Dorf Irlands“ stand da handgemalt, und es war nur zwei Kilometer entfernt. Die hatten es allerdings in sich. Wir befanden uns in Connemara im Westen Irlands, wo selbst die Teerstraßen verblüffende Variationen an Wellen und Schlaglöchern aufweisen. Doch nach Aillenacally – so hieß das Dorf – führte keine Teerstraße, sondern eine Piste aus kleinen und großen, spitzen und runden Steinen. Unser betagter Kleinwagen blieb nach hundert Metern liegen, weil sich eine Klamotte im Kotflügel verkeilt hatte. Jetzt bloß nicht aufgeben, sagten wir uns, schließlich befanden wir uns auf einer Reise in die Vergangenheit.
Dann kam eine Steinbrücke – vermutlich die älteste in Irland. Sie sah überhaupt nicht vertrauenerweckend aus, denn man mußte Anlauf nehmen, um mit Schwung die Stufe zwischen Steinpiste und Brücke zu meistern. Hinunter ging es leichter, wenn man einmal vom Schaben der Ölwanne auf dem Brückenkopf absah. Plötzlich hörte die Pseudostraße einfach auf. Vor uns lag eine abgezäunte Wiese mit acht Steinruinen, dahinter der Atlantik. Am Zaun hing ein Schild: „Eintritt 2,50 Pfund. Mit Führung 4 Pfund. Mit Meditation 5 Pfund.“
Wir starrten eine Weile auf die Wiese, jedoch nicht zu lange, damit es uns nicht als Meditation ausgelegt werden konnte. Dann entdeckten wir ein weiteres Schild: „Zu verkaufen.“ Das ganze Ruinendorf samt zugehörigem Land, dem Hafen und einem Gemüsegarten sollte verscherbelt werden. Die Einwohner waren 1940 nach Amerika abgehauen. Es erschien ihnen wohl sicherer, den Atlantik gen Westen zu überqueren als die Steinpiste gen Osten. Jedenfalls gammelte das Dorf seitdem vor sich hin.
Aus der einzigen überdachten Hütte kam eine junge Frau gelaufen. Sie hielt uns offenbar für Kaufinteressenten und erklärte uns das Grundstück. „Die meisten Cottages sind in gutem Zustand“, log sie. „Nur an diesem hier müssen ein paar Steinarbeiten gemacht werden.“ Dabei zeigte sie auf eine Giebelwand – das einzige, was von dem Haus noch übrig war. „Da vorn liegt Bláithins Cottage“, sagte sie. „Ich bin Bláithin. Und das heißt Blümchen.“
Und sie drückte uns eine selbstgemalte Karte in die Hand, auf der die einzelnen Hütten verzeichnet waren. Nun mußten wir das ehemalige Dorf auch besichtigen, das hatten wir uns selbst eingebrockt. „Der große Gemüsegarten“ entpuppte sich als kleines Kohlfeld mit ein paar wilden Kohlköpfen, der Hafen als zerfallene Steinmauer. Der Sumpf war in der Karte nicht verzeichnet. Nachdem ich meinen rechten Schuh dann doch noch wiedergefunden hatte, entdeckten uns die Frettchen. Die Bißwunde im Finger ist inzwischen aber gut verheilt. Dann fing es auch noch zu regnen an. Aber das war uns längst egal.
Umgerechnet 1,3 Millionen Mark wollte Blümchen für das nasse Dorf haben – also gut 150.000 für jede Ruine. Wir nickten verständnisvoll und erklärten, daß wir uns eine solche Anschaffung gut überlegen müßten. Dann suchten wir das Weite. Die Brücke hielt wider Erwarten ein zweites Mal.
Irland ist zur Zeit Wirtschaftswunderland. Aber es bedarf schon eines echten Wunders, damit Blümchen Millionärin wird.
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