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Bleiben die Öfen kalt, damit Automotoren heißlaufen können?

■ betr.: „Ab 2000 bleibt der Ofen kalt“, taz vom 13.10.93

Offener Brief an den Preußischen Landtag Berlin-Mitte

Den Berliner Tageszeitungen mußten wir entnehmen, daß Sie vorhaben, die Kohleöfen der 200.000 Wohnungen, die im Innenstadtbereich noch mit Kohle oder Briketts zu heizen sind, zum Jahr 2000 zu verbieten.

Wir möchten hiermit höflich anfragen, um wieviel die entsprechenden Schwefel- und Rußemissionen sich durch eine solche Maßnahme verringern werden. Wir möchten Sie hiermit gleichzeitig fragen, wie Sie verhindern wollen, daß die dann neu eingebauten Gas- und Fernheizungen den Energieverbrauch mit den entsprechenden Folgewirkungen insgesamt nicht insofern erheblich vermehren werden, insofern ein dosiertes Heizen mit diesen Heizverfahren nicht üblich ist und teilweise viel schwieriger oder auch gar nicht möglich ist – aufgerissene Fenster in Fernwärmewohnungen gibt es ja auch im Westteil der Stadt. Schließlich möchten wir Sie fragen, wie Sie das Herausreißen intakter Öfen zugunsten teurer Neuanlagen, die irgend jemand wird bezahlen müssen, in einer überschuldeten Stadt mit übergroßer Arbeitslosigkeit und viel zuwenig billigem Wohnraum legitimieren wollen?

Halten Sie für die betroffenen Mietparteien, die luxusrenovierte Wohnungen schlicht nicht mehr werden bezahlen können, vergleichbaren Wohnraum in vergleichbarer Wohnlage zu derzeitigem Preis bereit?

Zugleich möchten wir Sie fragen, um wieviel die Staubpartikelemissionen und andere Giftgasbelastungen im Innenstadtbereich sich verringern würden, wenn Sie im gleichen Zeitraum, statt die Öfen zu verbieten, in dem entsprechenden Gebiet innerhalb des inneren S-Bahn-Rings den privaten Autoverkehr untersagen würden?

Wir möchten darauf hinweisen, daß ein Unterbinden des privaten Autoverkehrs nicht nur der – mit Verlaub gesagt unseres Erachtens unverantwortlichen – schleichenden Vergiftung Einhalt gebieten würde, der die Innenstadtbewohner in Berlin derzeit ausgesetzt sind, sondern darüber hinaus die für viele unerträgliche Lärmbelastung immerhin um ein Erhebliches reduzieren würde. Nach dem neuesten Jahresbericht des Umweltbundesamtes (für 1992, S. 261) fühlen sich 70 Prozent der Stadtbewohner durch Auto- (und Baumaschinen-)Lärm teilweise sogar erheblich belästigt, was erheblichen Streß und sicher vielfache Aggressionen verursacht, ein Phänomen, dem durch Verbieten von Ofenheizungswohnungen in keinster Weise beizukommen ist.

Wir möchten Sie also hiermit bitten, uns Ihre Entscheidung genau zu begründen und uns ausführlich zu erläutern, wieso es in Ihren Augen zu rechtfertigen ist, daß der privaten Marotte einiger unverbesserlicher PKW-Süchtiger (nämlich mit dem privaten PKW statt mit der Bahn oder dem Rad zur Arbeit zu fahren) die Ruhe und die Gesundheit der – im Vergleich zu den PKW-Fahrern – größeren Zahl der StadtbewohnerInnen zu opfern ist (im Haus Bülowstraße 74 etwa besitzt von acht Mietparteien nur noch eine ein Auto, in Nachbarhäusern ist es ähnlich). Wir können uns des Gefühls nicht erwehren, daß die Öfen verboten werden, um dem Fetisch des 20. Jahrhunderts, „dem Verkehr“, weiter ungestört huldigen zu können, die Öfen und das Wohnrecht der armen Stadtbewohner dem Imponierbedürfnis gutverdienender Herren (Privat-PKWs) geopfert werden. Dr. E. Meyer-Renschhausen

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