Bettina GausMacht : Verteidigung einer eiskalten Type
Sogar aufgeklärte Bürger dieses Landes reden so, als würden sie den Duisburger Oberbürgermeister Sauerland am liebsten teeren und federn. Weder sie noch er trennen zwischen politischer Verantwortung und individueller Schuld
Der habe doch nur Profit herausschlagen wollen für Duisburg, erregte sich der junge Mann, den ich als zurückhaltend und höflich kennengelernt hatte. Auf den Hinweis, dass das für sich genommen ja nun eigentlich nicht verwerflich sei, sondern zu den Amtspflichten eines Oberbürgermeisters gehöre, reagierte er mit blinder Wut: „21 Menschen sind tot, dafür muss er 21 Jahre in den Knast. Mindestens“, schrie er mit verzerrtem Gesicht. Beifälliges Nicken anderer Gäste. Wie ich eine so „eiskalte Type“ noch verteidigen könne, fragte eine Frau verächtlich.
Ich hatte Adolf Sauerland gar nicht verteidigt und hätte das bis zu diesem Augenblick auch für eine fast unlösbare, schwere Aufgabe gehalten. Aber allmählich bekam ich Lust dazu. Denn in einem scheinen sich der Bürgermeister und diejenigen, die ihn bei diesem netten, gepflegten Abendessen mit offenem Hass verfolgten, bis aufs Haar zu gleichen: in der Unfähigkeit, zwischen politischer Verantwortung und individueller Schuld zu unterscheiden.
Verlust von Rentenansprüchen? Das sei ja wohl das Mindeste, was die Öffentlichkeit als Strafe erwarten kann. Und wenn der Kerl irgendeine Ehre im Leib habe, dann beschwere er sich darüber nicht. Was der Kerl nach Ansicht einiger der um den Tisch versammelten Menschenfreunde sonst noch tun sollte, kann man nicht schreiben. Das verbietet der Anstand.
Der junge Mann, dessen Erregung beständig wuchs, forderte inzwischen den Verlust sämtlicher Bezüge und Ansprüche für alle Politiker, die – aus welchen Gründen auch immer –in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft jemals zurückgetreten sind, zurücktreten, zurücktreten werden. Denn die ganzen Abgeordneten und Minister säßen ja ohnehin nur aus persönlichem Gewinnstreben im Parlament, deshalb müssten sie für jede Fehlentscheidung auch privat haften. Immerhin: Öffentliches Teeren und Federn verlangte niemand.
Alle Anwesenden an diesem Abend gehören zur gut ausgebildeten Mittelschicht dieses Landes. Alle haben entweder sichere Arbeitsplätze oder studieren an verschiedenen Universitäten. Alle halten die parlamentarische Demokratie für ein brauchbares System, bezeichnen sich selbst als eher links stehend und sind im Alltag freundlich, liberal, weltoffen. Wo kommt der pauschale Hass her? Auf „die Politiker“? Die „ständig Dinge machen, die der Bevölkerung schaden“? Als hätten sich alle gemeinsam in Parlamente und Rathäuser geputscht.
Es gibt allerdings Prophezeiungen, die sich selbst erfüllen. Wenn sich in einer Gesellschaft die Überzeugung durchsetzt, Politik sei ein schmutziges Geschäft, dann ist das über kurz oder lang auch so. Weil dann niemand mehr, der auf sich hält, noch Lust hat auf den Job. Trübe Aussichten.
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Foto: Amélie Losier